Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
lebte. Dann hatte er erkannt: Ihre Entführung konnte nicht von Damon initiiert worden sein. Eine Gruppe offenbar permanent alkoholisierter und bekiffter Gammler irgendwo in der Einsamkeit Yorkshires zählte garantiert nicht zu Damons Leuten. Das waren nicht die Menschen, mit denen er sich umgab. Ryan hatte das Gerücht gehört, dass jeder, der für Damon arbeitete, niemals Alkohol trinken durfte. Drogen waren natürlich völlig indiskutabel. Auch wenn Damon damit dealte. Aber das waren zwei unterschiedliche Paar Schuhe.
Auch ein Zusammenhang mit Vanessa Willard schien Ryan nun ziemlich ausgeschlossen. Wenn Vanessa tatsächlich lebte und einen Rachefeldzug führte, hätte sie dieselben Leute auf Corinne angesetzt, die auch Debbie überfallen hatten: eiskalte Verbrecher, die für Geld jede Art von Auftrag erledigten. Nicht einen Haufen Schwachköpfe, die von zwölf Stunden am Tag elf Stunden nicht zurechnungsfähig waren. Es sprach vieles für Bradleys Theorie: Corinne war zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen und hatte ein leicht zu überwältigendes Opfer abgegeben. Schlimm genug, aber es hatte nichts mit Ryan zu tun. Es war Zufall, dass es kurz nach seiner Exfreundin nun auch seine Mutter erwischt hatte.
Zufälle passierten. Trotz der häufig zitierten Aussage: Es gibt keine Zufälle.
Natürlich gab es sie.
Jetzt jedoch, einen Tag später, konnte Ryan nicht anders, als die Ungereimtheiten zu sehen, die die Geschichte beinhaltete. Was war zum Beispiel mit dem Mädchen, auf das seine Mutter an jenem Treffpunkt gewartet hatte? Es gab Anhaltspunkte dafür, dass das Auto der Familie vorsätzlich manipuliert worden war. Das sprach für eine sehr genaue Recherche der Umstände und für eine perfekte Planung.
Als es Zeit für eine Mittagspause war, stieg Ryan von seiner Leiter und durchquerte den Copyshop, um sich draußen für einen Moment in die Sonne zu setzen. Der Tag war hell und warm. Wunderbar nach all dem Regen.
Dan blickte ihm mit bösem Gesicht hinterher. Er hasste es, wenn Ryan eine Pause machte.
Dabei tut er selbst nichts anderes, dachte Ryan.
Er ging ein Stück die Straße entlang, setzte sich auf ein Mäuerchen, packte das Sandwich aus, das ihm Nora wie an jedem Morgen zubereitet hatte. Truthahn, frische Salatblätter, Mayonnaise … Sie machte wunderbare Brote. Ryan hätte sich ihrer Fürsorge manchmal gerne entzogen, aber zwischendurch fand er es auch schön, sich um manche Dinge nicht selbst kümmern zu müssen. Und sich so … umsorgt zu fühlen. Das war ihm zuletzt als Kind so gegangen, als Corinne ihm Schulbrote gestrichen und seine Trinkflasche mit Himbeersaft gefüllt hatte.
Corinne! Er würde es jetzt einmal telefonisch bei ihr versuchen. Zum Teufel mit Bradley, der ihm am liebsten den Kontakt verboten hätte. Das konnte er vergessen.
Er hatte sich am Morgen Noras Handy ausgeliehen, um erreichbar zu sein, falls noch irgendetwas mit Corinne wäre. Es war typisch für Nora, dass sie ihm ihr Telefon ohne zu zögern überlassen hatte.
»Natürlich bekommst du es. Und versuch, deine Mutter anzurufen. Ich glaube, es würde ihr guttun!«
Er tippte als Erstes Corinnes Handynummer ein, aber es meldete sich niemand. Ihre Handtasche war von der Polizei beschlagnahmt worden, damit auch das Handy, und vielleicht hatten sie es noch nicht zurückgegeben. Obwohl er wenig Lust hatte, an Bradley zu geraten, wählte Ryan als Nächstes die Nummer der Beecrofts. Bradley meldete sich nach dem zweiten Klingeln.
»Ja?« Er klang erschöpft, aber nicht mehr so panisch wie noch am Freitag.
»Ich bin es, Ryan. Ist meine Mutter da?«
»Sie ist hier, aber ich denke, es wäre im Moment nicht gut für sie, wenn …«
Ryan vernahm Corinnes Stimme im Hintergrund. »Wer ist es denn?«
»Es ist Ryan«, antwortete Bradley seufzend.
Sofort war Corinne am Apparat. »Ryan! Wie schön, dass du anrufst!«
Zu seinem Schrecken schossen ihm die Tränen in die Augen. Er hatte so lange nicht mit ihr gesprochen. Er hätte sie fast verloren, ohne ihr noch vorher irgendetwas sagen zu können. Mist! Er konnte nicht als erwachsener Mann mitten auf einer Straße in Pembroke Dock sitzen, ein Sandwich in der einen, ein Handy in der anderen Hand, und heulen wie ein kleiner Junge.
Er schniefte. »Hi, Mum! Alles okay?«
Wie blöd kann man fragen, dachte er gleich darauf.
Aber seine Mutter sagte mit normaler Stimme: »Ja. So weit … alles okay. Ich bin so glücklich, mit dir zu sprechen! Und Bradley hat mir erzählt, dass du
Weitere Kostenlose Bücher