Im Tal des Vajont
gekommen, ihn so unter das herabstürzende Wasser zu halten, dass ihn die Kälte des Wassers nicht einschlafen ließe. Ihn an einer Schulter abstützend, zog ich ihn vorsichtig bis zum Wasserfall des Collalto. Er konnte noch einigermaßen gut gehen, musste aber häufig stehen bleiben und kotzen, so brauchten wir länger als eine Stunde für die Strecke, die man normalerweise in zwanzig Minuten schafft. Ich zog ihm die Kleider aus, schob ihn unter den Wasserfall und sagte ihm, er müsse das schon aushalten, wenn er nach Hause zurück wolle. Mit gesenktem Kopf stützte er sich mit den Händen an der Steinwand ab. Wie er da wortlos unter dem Wasser stand, sah es so aus, als schliefe er im Stehen. Ab und zu fragte ich nach, wie es ihm ginge, aber er konnte nur mit einem unverständlichen Blöken, wie eine Kuh, antworten. Die Viper hatte ihn gegen acht Uhr morgens gebissen, und gegen zehn hatte ich ihn unter den Wasserfall gestellt, wo er circa fünf Stunden lang stehen blieb, bis er auf einmal in die Knie ging und wieder zu reden anfing und die Viper, die ihn in den Nacken gebissen hatte, »diese Hure« schimpfte. Während der ganzen Zeit war ich bei ihm gestanden, um zu sehen, ob sich sein Zustand verbessern oder verschlimmern würde, und als ich ihn zur Viper Hure sagen hörte, dachte ich mir, dass er vielleicht schon vom Gift geheilt war. Und tatsächlich sprang er mit einem Satz unter dem Wasserfall hervor wie ein Hund aus seinem Korb, wenn er eine Katze sieht. Seine Haut war weiß wie Schnee mit dunklen Streifen, und dabei musste ich daran denken, wie die abgezogenen und gesäuberten Füchse und Marder aussahen, wenn man sie an einem Eisendraht in die Strömung des Vajont hängte, um sie weich und genießbar zu machen. Sie hatten dann genau die gleichen Farben wie er.
Ich fragte ihn, wie es ihm gehe, ja, leidlich gut, aber er fühle sich immer noch schwindlig und habe weiter Bauchschmerzen.
An diesem Abend blieben wir zum Schlafen im Unterschlupf der Wilderer, denn es war nicht ratsam, sich noch am selben Tag auf den Heimweg zu begeben. Mein Freund war schwach wie eine flackernde Kerze, und auch wenn er unbedingt nach Hause zurück wollte, zwang ich ihn dazubleiben, um wieder zu Kräften zu kommen, denn nicht nur das Viperngift hatte ihn geschwächt, auch das Wasser. Fließendes Wasser ermüdet einen mehr als eine große Kraftanstrengung. Die Holzschnitzer im Vajonttal, die ihr Holz auf dem Wildbach transportieren, können ein Lied davon singen. Nach einem ganzen Tag mit den Füßen im Wasser fühlen sie sich am Abend mehr tot als lebendig.
Tags darauf erlegte ich eine Gämse und gab Raggio das Blut zu trinken, um ihm neue Lebenskraft einzuflößen. Ich erinnere mich noch daran, wie wir bei Morgengrauen, noch bevor wir uns durch die Rinne zurück nach Hause aufmachten, Leber, Lunge und Herz der Gämse aßen; so machen es die Jäger immer, um sich die Kraft und den Mut des Tieres einzuverleiben. Und Kraft brauchte mein Freund nun wirklich eine ganze Menge, nachdem die Viper ihn am Hals erwischt hatte.
Wir brachen noch mit Sternenlicht in den frühen Morgen auf, und Raggio schaffte es nur mühsam bis zum Gipfelkamm, weil sich zehn Stunden nach dem Vipernbiss unter seinen Füßen nusshälftengroße Geschwülste bildeten, mit denen er kaum in seinen Galoschen gehen konnte. Bergab ging es dann besser. Es dauerte einen Monat, bis Raggio wieder so wie früher war und die Nüsse unter den Füßen abheilten. Seit diesem Mal trug er eine solche Wut in sich, dass er sich jede Viper und Natter vorknöpfte, die er nur finden konnte. Er schnitt ihnen den Kopf ab, zog ihnen die Haut ab, wusch sie unter fließendem Wasser, dann gab er ein wenig Butter in eine Pfanne und brutzelte sie wie Aale, um sie schließlich zu verspeisen. Einmal probierte auch ich sie und sagte ihm, sie seien gut, aber zu stark gesalzen. Er antwortete, dass er überhaupt kein Salz dazugegeben habe und dass die Vipern an sich schon von Natur aus salzig seien.
Von da an wurden wir so eng vertraute Freunde, dass wir beschlossen, eine eigene Käserei zu gründen. Wie alle im Dorf besaßen wir, er wie ich, Kühe und Ziegen. Es war eine gute Idee, die Milch von den Bauern aus der Umgebung einzusammeln, um Käse zu machen, denn es machte zwar schon jeder seinen eigenen Käse, aber der war mal gut und mal weniger gut. Unterhalb des Rathauses stand ein Haus leer, weil die Eigentümer alle verstorben waren, und so bauten wir unsere Käserei dort hinein und
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