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finden, aber wir bitten Dich: Schicke ein Unwetter, das uns mit dem Donner der Gerechtigkeit zu Staub zermalmt, auf daß wir zerstört werden 117
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und keine Komplizenschaft erleiden mit dem, was wir hier beobachten mußten.
Mein Sohn, diese Gebete rührten mich zutiefst, und ich weinte und schämte mich, als ich hörte, wie sich Dinge an den Allmächtigen wandten, in der Hoffnung, daß Er ihrer Existenz ein Ende bereiten würde, und in dem Wissen, daß mir weitaus mehr Verantwortung im Hinblick auf die Ereignisse zukam als ihnen. Oh, wie sehr wünschte ich mir, daß mich die Füße forttrugen von dem fürchterlichen Ort! Ich schwöre: In jenem Augenblick wäre mir das lodernde Herz eines Schmelzofens lieber gewesen, und mit einem Hosianna auf den Lippen hätte ich dort mein Haupt zur Ruhe gelegt. Auf keinen Fall wollte ich in der Straße bleiben, die das Grauen gesehen hatte. Aber unglücklicherweise war nicht ich Herr meiner Schritte. Beine und Füße widersetzten sich meinem Willen und brachten mich erneut zur Tür des verhaßten Hauses. Blut klebte auf der Schwelle, als hätten die in der Nacht gestorbenen Märtyrer ein Zeichen für den Engel der Vernichtung hinterlassen: damit er die Erde dazu bewegen könne, sich unter dem Haus zu öffnen, es mit dem Unheil darin zu verschlingen. Jenseits der Tür hörte ich die Geräusche eines munteren Gesprächs, als seien die Mitglieder der Runde noch immer damit beschäftigt, ihre profanen, gotteslästerlichen Philosophien zu diskutieren.
Ich kniete in dem Blut und forderte die Personen in dem Gebäude auf, sich mir hinzuzugesellen, den Allmächtigen ebenfalls um Verzeihung zu bitten. Doch sie verspotteten mich mit schallendem Gelächter, bezeichneten mich als Feigling und Narren und verlangten von mir, sie in Ruhe zu lassen und zu gehen - in dieser Hinsicht wurde ich ihren Wünschen gern gerecht. So schnell wie möglich ließ ich Haus und Straße hinter mir zurück. Dabei hörte ich, wie mir das Kopfsteinpflaster mitteilte, daß ich mit meiner Mission beginnen sollte, ohne Gottes Strafe zu fürchten, denn ich hatte dem Haus der Sünden endgültig den Rücken gekehrt.
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So erging es mir im Traum. Ich habe ihn sofort mit diesen niedergeschriebenen Worten festgehalten und gebe den Brief jetzt gleich zur Post, auf daß Du gewarnt bist vor dem Verderben jenes Ortes und nie in Versuchung gerätst, Dich während meiner Abwesenheit nach Clerkenwell zu begeben, oder auch nur in den Süden von Islington. Denn aus meinem Traum geht deutlich hervor: Die Straße ist verdammt und wird früher oder später für die Ereignisse bestraft, die sich dort zugetragen haben. Und ich möchte nicht, daß Du, geliebter Sohn, für etwas leiden mußt, das mein Gewissen belastet, für ein Verbrechen, das ich in einem unverzeihlichen Wahn gegen Gott verübte. Zwar hat der Allmächtige Seinen eingeborenen Sohn geschickt, um uns mit Leid und Tod von unseren Sünden zu befreien, aber ich bin sicher, daß Er nicht das gleiche Opfer von mir verlangt. Er weiß, daß ich Sein demütigster Diener bin und Ihn darum bitte, Sein Werkzeug zu sein, bis ich aus dem Leben scheide, um auf das Jüngste Gericht zu warten.
Möge der Herr mit Dir sein, bis ich Dich wieder in die Arme schließen kann.
Einige Stunden nach der Niederschrift dieses Briefs ging Roxborough an Bord eines Schiffes, das nur eine Meile außerhalb des Hafens von Dover während eines Sturms sank.
Das Unwetter bedrohte keine anderen Schiffe, nur die Fähre des selbsternannten Läuterers: Sie sank innerhalb von einer Minute, und niemand kam mit dem Leben davon.
Als der Sohn den Brief erhielt, wußte er bereits vom Tod des Vaters und beweinte ihn noch einmal. Er ging in den Stall, um bei Bellamare, der geliebten Stute, Trost zu suchen. Das Pferd war nervös: Zwar kannte es Roxboroughs Sohn recht gut, aber es trat dennoch aus und traf den jungen Mann am Unterleib.
Das Ergebnis: Risse in der Magenwand und eine geplatzte Milz. Die Verletzungen waren nicht sofort tödlich; es dauerte sechs Tage, bis der Sohn starb. Das Familiengrab nahm ihn eher auf als seinen Vater, dessen Leiche erst eine Woche später 117
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angeschwemmt wurde.
Pie'oh'pah hatte Gentle diese traurige Geschichte erzählt, als sie von L'Himby in Richtung Chzercemit unterwegs gewesen waren, um dort nach Scopique zu suchen. Es handelte sich um eine von vielen Geschichten, und der Mystif gab sie nicht nur um der biographischen Details willen zum besten - obgleich es ihm
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