Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
Kind zu Heidi. Die zögerte zwar, aber als das Baby in ihrem Arm lag und an ihrem kleinen Finger nuckelte, war es um sie geschehen. Liebe auf den ersten Blick.
Am nächsten Tag wurde sie samt Baby zur Kur geschickt. Nach Bayern, wie es bei den Lüttjens schon Tradition war. Sie hatte sich im Winter so viel Kummerspeck angefuttert, dass in Nordergellersen schon gemunkelt wurde, sie sei wohl schwanger. Das passte. Als sie mit dem Baby nach zwei Monaten zurückkehrte, wunderte sich niemand über den Familienzuwachs.
Mama machte eine Pause und trank einen Schluck Sekt. Sie sah mich nicht mehr an, sondern schaute zu Boden. »Ich habe dich nicht selbst geboren, Nele, aber ich habe dich immer geliebt«, erzählte sie dem Flokati. »Du bist von der ersten Sekunde an das große Glück meines Lebens gewesen.«
Ich konnte nicht sprechen. Etwas in mir weigerte sich, die Geschichte zu glauben. Eine Erinnerung aus meiner Kindheit. Aber ich kam nicht drauf, was es war.
Jan übernahm das Reden für mich. »Und es hat wirklich nie jemand Verdacht geschöpft?«
»Nein. Manchmal hieß es, die Kleine sei ja sehr dunkel geraten, irgendwie aus der Art geschlagen. Dann haben wir das Foto von Uropa Franz herumgereicht. Das hat immer geholfen.«
Uropa Franz!
Genau!
Das war der Beweis dafür, dass Mama sich gerade eine wilde Lügengeschichte ausgedacht hatte. Aus welchen Gründen auch immer. Wahrscheinlich stand sie doch unter dem Einfluss von Drogen.
Uropa Franz war in meiner Kindheit auch mein Beweis gewesen, dass ich zu den Lüttjens gehörte. Wie oft hatte ich den Kavalleristen auf dem sepiafarbenen Foto angeschaut und mich mit ihm verbunden gefühlt! Seinetwegen wollte ich sogar zur berittenen Polizei von Niedersachsen gehen.
Zwei aus der Art geschlagene Familienmitglieder, über Generationen hinweg einander nah.
Ich wollte schon erleichtert aufseufzen, als ich Mamas Mienenspiel bemerkte. Es zerfloss nur so vor schlechtem Gewissen.
»Das … ähm … das Foto habe ich mal auf einem Flohmarkt in Lüneburg gekauft. Auf die Rückseite habe ich Franz Lüttjens geschrieben. Damit waren die Leute beruhigt.«
»Ist nicht wahr«, sagte mein Bruder. In seinen Augen stand fast so etwas wie Bewunderung. Vorübergehend hasste ich ihn dafür.
»Doch«, erwiderte Mama. »Und Nele war später auch immer glücklich, wenn ich es ihr gezeigt habe.«
Jan übernahm nun auch das Wütendwerden für mich. »So etwas nennt man arglistige Täuschung!«
»Ich weiß«, murmelte Mama. »Aber es gab eine Zeit, da hat Nele immer wieder gefragt, warum sie so anders aussieht als wir. Keinen Tag gab sie Ruhe. Ich wusste mir nicht anders zu helfen.«
Sie hob wieder den Blick zu mir. Ich las Traurigkeit und die Bitte um Vergebung darin. »So ganz unrecht hatte Hermann mit den Störchen übrigens nicht. Nach deiner Ankunft hat jedes Jahr ein Storchenpaar bei uns gebrütet. Erst als du nach München gezogen bist, blieb das Nest wieder verwaist.«
Wen interessierte das jetzt? Meine Welt war zusammengebrochen, und Mama sprach von Störchen.
»Was ist eigentlich mit mir?«, fragte Jan plötzlich. »Ich sehe aus wie ein echter Lüttjens. Habt ihr mich vielleicht aus einer Wikingerfamilie entführt?«
»Das ist nicht lustig, Jan«, entgegnete Mama.
»War auch nicht lustig gemeint.«
Wir erfuhren, dass Heidi Lüttjens zur allgemeinen Überraschung neun Monate nach meiner Ankunft schwanger geworden war. »Der Druck, unbedingt ein Kind bekommen zu müssen, war weg, und ich konnte mich entspannen. Da hat es plötzlich geklappt.«
»Wie beruhigend«, brummte Jan.
Ich sprang auf. Keine Sekunde hielt ich es mehr hier aus. Schon hatte ich das Wohnzimmer durchquert, lief durch den Flur, riss die Tür auf, sprang über die Treppen nach unten, war auf der Straße. Ich lief los, während die Gedanken in meinem Kopf hämmerten.
Ein Findelkind. Ausgesetzt. Nicht gewollt. Nicht geliebt. Wie weggeworfen. Keine Lüttjens. Nie gewesen. Anders als der Rest der Familie. Immer geahnt. Immer gewusst. Nie dazugehört.
Ich schreckte hoch, als ein Krankenwagen mit eingeschalteter Sirene an mir vorüberfuhr. Der Fahrer schrie mich an, ich solle gefälligst die Einfahrt frei machen. Verwirrt sah ich mich um. Ich stand vor der Notaufnahme der Universitätsklinik Eppendorf. Von Mamas Wohnung bis zum UKE war es eine weite Strecke. Ich hatte von meinem Fußmarsch nichts mitbekommen.
Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es schon halb drei war. Wenn wir Sissi rechtzeitig in Lüneburg
Weitere Kostenlose Bücher