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In deiner Hand

In deiner Hand

Titel: In deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Tintenfee Lewis
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schlimme Dinge erlebt. Die Falten auf seiner Stirn glichen Schluchten, die Augenringe Teertümpeln und in seinen Augen stand der Tod.
„Ich denke es ist vorbei“, meinte er. Ich war zu müde, um mich davon zu vergewissern. Jedenfalls spürte ich mein Bein überhaupt nicht mehr, was immer noch besser war, als alles andere davor.
„Ist es schwarz?“, wollte ich wissen und starrte an die Decke über mir. Sie hatten die Neonlampen ausgeschalten und überall an den Wänden flackerte das warme Licht dutzender Stumpfkerzen.
„Warum sollte es das sein?“ Verblüffung schwang in seiner Stimme.
„Es fühlt sich tot an“, flüsterte ich. Er legte den Notizblock auf das Bett und trat zu mir ans Kopfende. Er beugte sich vor, um mir besser in die Augen sehen zu können.
„Was haben sie bloß mit dir gemacht?“, wisperte ich und widerstand dem Drang, seine erschöpften Gesichtszüge mit dem Zeigefinger nachzumalen. Meine Stimme wurde fürchterlich krächzend. Ich wusste, dass ich jeden Moment zu heulen anfangen würde, wenn er mich weiter mit diesen schrecklich leeren Augen ansah. Jenks seufzte leise.
„Die Strafe war gerechtfertigt. Doch für das, was wir dir angetan haben, kann ich mich nicht entschuldigen. Erik bedeutet uns allen sehr viel. Wir würden für ihn sterben.“ Eine kurze Pause trat ein. „Einige sind es bereits, andere werden es noch“, murmelte er mehr zu sich selbst.
„Was soll das heißen einige sind bereits gestorben?“ Ich war ungewollt lauter geworden. Ich glaubte Annie zu hören, die nach Luft schnappte. Sofort senkte ich die Stimme wieder und sah Jenks abwartend an.
„Wir haben gegen das Gesetz verstoßen“, meinte dieser nur und griff wieder zu seinem Notizblock. In fachmännischem Ton fuhr er fort: „Ich denke in einer Stunde kannst du dein Bein wieder voll belasten.“
„Scheiß auf das Bein! Was hat man dir angetan? Wo sind die anderen? Wo ist Henriette? Was haben sie mit euch gemacht?“
„Der Tod gehört zum Leben dazu. Unsterblichkeit gibt es nur in Büchern.“ Er klang schrecklich verbittert.
„Sie sind wirklich tot?“ Tränen schossen mir in die Augen und ich schlug die Hände vor den Mund, um die Schluchzer zu dämpfen. „Aber wieso?“ Jenks ließ den Block sinken und schloss die Augen.
„Weißt du Verry. Wir sind eine gefährliche Spezies. Sehr viel gefährlicher als die gewaltbereiten Menschen es sind. Wir brauchen keine Waffen, wir sind Waffen.“ Er hielt inne, hielt für einen kleinen Augenblick die Luft an. Seine rechte Hand wanderte über das weiße Hemd, zu der Stelle, wo sein Herz lag und strich geistesabwesend darüber. Erst dann sprach er weiter. „Es gibt Gesetze, die uns in unsere Grenzen weisen und uns daran erinnern, dass wir keine Jäger und die Menschen nicht unsere Beute sind. Verstößt jemand dagegen, ganz gleich wie gering dieser Verstoß ist, wird ihm der Prozess gemacht. In unserer Welt gibt es kein Erbarmen, keine Bewährung oder langjährige Haftstrafen. Brechen wir eines dieser Gesetze wartet auf uns nur der Tod.“
„Warum lebst du dann, wenn die anderen schon tot sind?“ Es war nicht besonders taktvoll, das zu fragen, das wusste ich. Trotzdem wollte ich wissen, wieso Jenks jetzt als seelisch zerstörter Vampir hier vor mir stand und nicht irgendwo als Haufen Asche auf dem Asphalt irgendeiner Seitengasse lag. War ein schneller Tod nicht sehr viel humaner als das, was hier vor mir stand?
„Onyx ist weise. Er besitzt keine hellseherischen Fähigkeiten, aber er weiß die Menschen so gut einzuschätzen, als es irgendjemand sonst kann.“ Ich verstand den Zusammenhang überhaupt nicht. Was mir Jenks auch ansah. „Ich werde noch gebraucht“, erklärte er.
„Die drei-Tage-Frist“, murmelte ich und erinnerte mich an Onyx letzte Worte, „verstehe. Das heißt, du lebst, weil er damit gerechnet hat, dass ich zurückkommen werde.“
Und danach? Wenn Jenks nicht mehr gebraucht wurde? Musste er dann sterben?
„Bist du denn zurückgekommen?“, lenkte Jenks mich von dieser schrecklichen Vorstellung ab. Er öffnete langsam wieder die Augen und musterte mich ein wenig entspannter. Er musste in der kurzen Zeit Schreckliches durchgemacht haben. Auch wenn er sich gut verstellte, ich spürte die Hoffnungslosigkeit unter seiner Arzt-Fassade sehr deutlich. Henriette war also auch tot. Je länger ich Jenks ansah, desto grausamer wurde die Vorstellung, was man dem Kind angetan haben konnte. Ihr und den anderen, die mich entführt hatten, damit ihr Freund nicht

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