In deiner Hand
weggekommen war. Wie es sich wohl anfühlte, für den Rest seines Lebens von einer einzigen Person abhängig zu sein?
Du meinst wohl, für den Rest deines Lebens! Denn du wirst irgendwann alt und stirbst.
Gerade wollte ich gehen, als mir ein weiterer Gedanke kam.
„Sag mal …“ Stirnrunzelnd beugte ich mich zu ihm runter. „Löst sich der … Fluch, wenn ich sterbe? Ich meine … kannst du dann wieder ganz normal … du weißt schon.“
Erik Haiss wich meinem Blick aus und setzte dazu an, den Schlüssel im Schloss herum zu drehen und sich aus dem Staub zu machen. Blitzschnell schob ich den Oberkörper durch das Fenster und nahm ihm die Wagenschlüssel ab.
„Was soll denn das?“ Verärgert sah er mich an. „Gib mir den Schlüssel!“
„Antworte mir!“
Haiss packte mein Handgelenk so fest, dass der Schmerz durch meinen Arm bis hinauf in die Schulter peitschte. Ich zuckte zusammen.
„Mein Gott, komm wieder runter!“, schnauzte ich und warf ihm die Schlüssel auf den Schoß. „Idiot!“ Ziemlich unelegant richtete ich mich wieder auf und entschied ihn einfach in Ruhe zu lassen. Im Selben Augenblick taumelte Mum am Arm des Fettwansts aus der Haustür. Bevor das Licht im Flur erlosch, erhaschte ich einen Blick auf ihre stark geröteten Wangen und die glasigen Augen. Sie hatte getrunken. Ihrem Gang nach zu urteilen auch nicht besonders wenig. Kichernd warf sie sich Charles an den Hals.
„Lass uns doch hier bleiben, Baby!“, schnurrte sie und leckte über sein fleischiges Gesicht. „Verry kommt heute nicht nach Hause.“
„Was? Warum das denn nicht?“ Charles klang erstaunlich nüchtern, im Gegensatz zu meiner Mutter die nach jedem Wort hickste.
„Ich hab´ sie raussssgworfn!“, lachte sie gackernd und schlug ihm unsanft gegen die Brust. „Ich musste ihr einfach ma zeign, dasssie … mit mir nich machn kann wasse will.“
Charles schob sie ein Stück von sich fort und musterte sie eingehend. „Was ist passiert?“ Echte Sorge schwang in seiner Stimme mit, die mich irgendwie rührte. „Wo ist deine Tochter?“
„Was weiß ich!“
„Bonny! Wo zum Teufel ist Verry?“
„Ich hab sie rausgeworfen! Vermutlich hängt sie bei ihrem blöden Lehrer und lässt sich flachlegen!“
Charles machte ein würgendes Geräusch. Ich krallte meine Finger in die Strickjacke, die ich ausgezogen hatte, weil mir im Wagen zu warm geworden war.
„Gott. Was redest du denn für ein verrücktes Zeug, Liebling?“
„Verry lügt mich an!“, keifte Mum übertrieben laut. „Nachts schleicht se sich ausm Haus, mit fast nichts an und steigt in irgendein fremdes Auto!“ Jetzt schniefte sie laut und rieb sich den Rotz mit dem Unterarm von der Nase. „Sie geht aufn Strich!“, flüsterte sie tonlos. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Heiße Wut rauschte durch meinen Körper, genau wie im Park heute Morgen. Zitternd drückte ich mich mit dem Rücken gegen den Porsche, ballte die Hände zu Fäusten und versuchte ruhig zu atmen. Charles lachte unsicher.
„Das glaubst du doch nicht wirklich?“
„DOCH!“, beharrte Mum stur und schmiegte sich an ihn. „Jedes Wochenende schleicht se sich davon. Ich bin ihr schon ein paar Ma nachgegangn. Ich hab mir schließlich Sorgn gmacht!“, verteidigte sie sich laut. „Ich bin ihre … Mutter!“
Sie schlang ihre schlanken Arme um den riesigen Bauch des Anwalts. „Sie trifft sich mit irgendwelchn Anzugträgern un kommt erst stundnspäter zurück! … Sie verkauft sich!“
„Vielleicht hat sie ja einen … heimlichen Freund? Ihr hast du schließlich auch nie etwas von mir erzählt!“
„Sie ist Fünfzehn“, rief sie mit tränenerstickter Stimme. „Und die Männer, die ich mit ihr gesehn hab, die warn alt, Charles. Mindestens so alt wie ihr Lehrer. Brian! Ich wette der … der …“ Hinter mir floss plötzlich grelles Licht über unsere Auffahrt. Eine Wagentür knallte. Haiss tauchte neben mir auf und zog mich an der Hand hinter sich her. Er steuerte direkt auf Mum zu, die mit schreckgeweiteten, verheulten Augen dastand und ihn ungläubig anstarrte.
„Mrs Jones! Ich denke es ist an der Zeit, dass wir uns persönlich kennen lernen!“ Haiss machte irgendetwas mit seiner Stimme, die ganz plötzlich einen wohlklingenden, weichen Ton annahm. Mum wurde rot. „Mein Name ist Erik Haiss. Verry und ich …“ Er verstummte kurz und räusperte sich leise. Dann griff er einfach nach meinem Kinn und küsste mich vor den Augen meiner Mum auf den Mund. Instinktiv holte ich aus, aber er reagierte so
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