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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Cable Car zu werden, und deshalb angefangen hatte, den Wälzer von Konversationslexikon seiner Eltern als Hantel zu benutzen, um sich die ersten Muskeln anzutrainieren.
    Mir war ganz schön mulmig gewesen, als wir die Powell Street hinunterfuhren und kurz vor der Endstation mit ihrer Drehscheibe auf die barsche Aufforderung des Schaffners hin vom Trittbrett hopsten. Die Erinnerung an meinen Stadtbummel, der so böse geendet hatte und noch viel schlimmer hätte ausgehen können, steckte mir immer noch in den Knochen. Es half ein bisschen, dass Ted bei mir war, mit mir eine Runde um den Union Square drehte und mir an ein paar markanten Punkten zeigte, bis wohin ich gut allein hinkonnte und wo ich besser umkehren sollte. Punkte, die er mir später auf einem Stadtplan mit Kuli markierte, während wir in Lori’s Diner saßen. Ein völlig abgefahrener Laden war das, schräg gegenüber vom Hotel Sir Francis Drake und von Starbucks, mit seiner Theke und seinen roten Kunstlederbänken in den Sitznischen exakt so eingerichtet, wie man sich einen Imbiss im Amerika der 50er und 60er vorstellt. Mini-Jukeboxen, alte Filmplakate, gerahmte Zeitschriftencover aus jener Zeit und einen mintgrünen Oldtimer mitten im Raum inklusive, und natürlich beschallt von legendären Oldies aus der Zeit. Die Eiswürfel in meinem roten XXL -Plastikbecher ließen mein Cola light zwar schmecken wie mit Poolwasser verdünnt, aber dafür waren der riesige Caesar Salad, den Ted sich mit mir teilte, und der auch nicht gerade kleine Cadillac-Burger mit Pommes der absolute Hammer gewesen.
    Gestern waren wir dann zu Fuß in Nob Hill unterwegs gewesen, und nachdem sich auf unserem Weg bergauf und bergab durch die pastellfarbenen Häuserreihen unter dem Kabelgewirr meine immer noch leicht lädierten Beinmuskeln bemerkbar gemacht hatten, war ich ohne zu murren ins Cable Car Museum mitgetrottet. In dem Backsteinbau mit seinen hohen Sprossenfenstern im oberen Stockwerk, in dem es nach angekokeltem Holz und Schmieröl roch, war nicht nur allerlei Altes und Nostalgisches rund um die Bahnen und das Große Erdbeben von 1906 ausgestellt, in dem große Teile der Stadt zerstört worden und in Flammen aufgegangen waren. Weil dort auch das Depot und die Werkstatt der Cable Cars untergebracht waren, konnte ich über ein Geländer hinweg auf die gigantischen Räder hinunterschauen, auf denen unter ohrenbetäubendem Lärm mehr als zwanzig Stunden am Tag die Stahlseile liefen, die die Cable Cars durch die Stadt zogen.
    In dem schnuckeligen Café gegenüber hatte ich Gabi endlich die versprochene Ansichtskarte geschrieben, die ich im Museum gekauft hatte, und Ted hatte mir auch hier wieder auf dem Stadtplan markiert, wo wir entlanggelaufen waren und in welchen Straßen ich selbst bei Dunkelheit problemlos allein unterwegs sein konnte. Dabei zeigte er mir auch, wo er gewohnt hatte, als er in meinem Alter gewesen war: unterhalb des Telegraph Hill, in einer Seitenstraße zur Columbus Avenue, die auf dem Stadtplan so ziemlich die einzige Straße war, die im Schachbrettkaro der Stadt diagonal verlief.
    Während ich die letzten Tomatenscheibchen vom Schneidebrett in die Salatschüssel schubste, beobachtete ich Ted in seinen ausgebeulten Jeans und dem grauen SFSU -Hoodie, wie er gerade die Soße abschmeckte und dann nachwürzte. Schon komisch, dachte ich und kippte das Dressing über den Salat – Ted hatte sein ganzes Leben hier verbracht, bis er damals für ein Studienjahr an die Uni unserer Stadt kam, wo er Mam kennenlernte. Wäre Ted nie nach Deutschland gekommen und hätte Mam nicht bei uns am See studiert, sondern in einer anderen Stadt, würde es mich heute nicht geben. Eine absolut schräge Vorstellung; eine, die eigentlich irgendwie gar nicht in mein Hirn ging.
    »In der Schule auch alles okay?«, fragte Ted in meine Gedanken hinein.
    »Yupp.« Ich holte das Salatbesteck aus der Schublade.
    Der blaue Fleck auf meiner Wange war zwar zu einem hellen Purpurgelb ausgeblichen, das nicht mehr so drastisch auffiel; trotzdem hatte ich am Samstag bei Sephora auf die bestürzten Nachfragen der Verkäuferin, von der ich mich beraten ließ, etwas von einem blöden Sportunfall gemurmelt und schnell die Abdeckcreme gekauft, die sie mir empfahl. Denn leider war das Attest nur bis Freitag gültig gewesen, heute hatte ich wieder in die Schule gemusst. Den Unterricht selbst hatte ich ganz gut hinter mich gebracht, aber der Nachmittag im Beacon hatte sich endlos hingezogen. Statt zwischen

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