In einem anderen Land
Franzosen, Barbusse. Und Mr. Britling durchschaut es.»
«Nein, das tut er nicht.»
«Wie?»
«Er durchschaute es nicht. Diese Bücher gab es im Lazarett.»
«Dann haben Sie also doch gelesen?»
«Ja, aber nichts besonders Gutes.»
«Ich fand, Mr. Britling war eine sehr gute Studie über die Seele des englischen Spießbürgers.»
«Ich weiß nichts von der Seele.»
«Mein armer Junge. Wir wissen alle nichts von der Seele. Sind Sie gläubig?»
«Nachts.»
Graf Greffi lächelte und drehte sein Glas zwischen den Fingern.
«Ich hatte erwartet, bei zunehmendem Alter frömmer zu werden, aber irgendwie wurde ich es nicht», sagte er. «Es ist sehr schade.»
«Würden Sie gern nach dem Tode leben?» fragte ich und fühlte im selben Augenblick, daß es dumm von mir gewesen war, den Tod zu erwähnen. Aber das Wort machte ihm nichts aus.
«Es käme auf das Leben an. Dieses Leben ist sehr erfreulich. Ich möchte gern ewig leben», lächelte er. «Ich tu's beinahe.»
Wir saßen in den tiefen Ledersesseln, den Champagner in dem Eiskühler und unsere Gläser auf dem Tisch zwischen uns.
«Wenn Sie je so alt werden wie ich werden Ihnen viele Dinge seltsam vorkommen.»
«Sie kommen einem nie alt vor.»
«Der Körper ist alt. Manchmal habe ich Angst, daß ich mir einen Finger abbrechen könnte, wie man ein Stück Kreide abbricht. Und der Geist ist nicht älter und nicht viel weiser geworden.»
«Sie sind weise.»
«Nein, das ist der große Trugschluß; die Weisheit alter Leute. Sie werden nicht weise. Sie werden vorsichtig.»
«Vielleicht ist das Weisheit.»
«Es ist eine ziemlich reizlose Weisheit. Was ist Ihnen das Wertvollste im Leben?»
«Jemand, den ich liebhabe.»
«Mir auch. Das ist keine Weisheit. Schätzen Sie das Leben?»
«Ja.»
«Ich auch. Weil es alles ist, was ich habe. Und Geburtstagsgesellschaften geben.» Er lachte. «Sie sind wahrscheinlich weiser als ich. Sie geben keine Geburtstagsgesellschaften.»
Wir tranken beide.
«Was denken Sie wirklich über den Krieg?» fragte ich.
«Ich halte ihn für eine Dummheit.»
«Wer wird ihn gewinnen?»
«Italien.»
«Warum?»
«Es ist jünger als Nation.»
«Gewinnen immer die jüngeren Nationen?»
«Eine Zeitlang haben sie die Fähigkeit dazu.»
«Und was geschieht dann?»
«Dann werden sie ältere Nationen.»
«Sie sagten, Sie seien nicht weise.»
«Mein Lieber, das ist nicht Weisheit. Das ist Zynismus.»
«Mir klingt es sehr weise.»
«Ist es aber nicht besonders. Ich könnte Ihnen die Beispiele für das Gegenteil aufzählen. Aber es hört sich nicht schlecht an. Haben wir den Champagner ausgetrunken?»
«Beinahe.»
«Wollen wir noch etwas trinken? Ich muß mich dann umziehen.»
«Vielleicht lieber jetzt nicht.»
«Wollen Sie bestimmt nicht mehr?»
«Nein.»
Er stand auf.
«Ich hoffe, Sie werden sehr erfolgreich und sehr glücklich und sehr, sehr gesund sein.»
«Danke. Und ich hoffe, Sie werden ewig leben.»
«Danke, das tue ich. Und wenn Sie jemals fromm werden sollten, dann beten Sie für mich nach meinem Tode. Ich bitte mehrere meiner Freunde, das zu tun. Ich hatte erwartet, daß ich selbst fromm werden würde, aber es ist nicht gekommen.» Ich glaube, er lächelte traurig, ich konnte es aber nicht genau sehen. Er war so alt, und sein Gesicht hatte so viele Falten, daß ein Lächeln so viele Linien brauchte, daß alle Nuancierungen verlorengingen.
«Vielleicht werde ich sehr fromm w erden», sagte ich. «Auf jeden Fall werde ich für Sie beten.»
«Ich hatte immer gedacht, daß ich mal sehr fromm werden würde. Meine ganze Familie ist sehr fromm gestorben. Aber irgendwie kommt's nicht.»
«Es ist noch zu früh.»
«Vielleicht ist es zu spät. Vielleicht habe ich meine religiösen Gefühle überlebt.»
«Meine eigenen kommen nur nachts.»
«Außerdem lieben Sie auch. Vergessen Sie nicht, das ist ein religiöses Gefühl.»
«Glauben Sie?»
«Natürlich.» Er machte einen Schritt gegen den Tisch. «Es war sehr gütig von Ihnen, mit mir zu spielen.»
«Es war mir ein großes Vergnügen.»
«Wir wollen zusammen hinaufgehen.»
04
In der Nacht stürmte es, und ich wachte auf und hörte den Regen gegen die Fensterscheiben peitschen. Er kam durch das offene Fenster herein. Jemand hatte an die Tür geklopft. Ich ging sehr vorsichtig an die Tür, um Catherine nicht zu stören, und öffnete sie. Der Barmixer stand davor. Er hatte seinen Mantel an und hielt seinen nassen Hut in der Hand.
«Kann ich mit Ihnen sprechen,
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