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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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würde außer dem Hund. Aber jetzt, da Hugh tatsächlich vor der Tür stand, hielt er es für klüger, erst einmal anzuklopfen. Er tat es. Von drinnen hörte er Krallen, die rasch über einen Holzfußboden klickten, aber sonst nichts. Um ganz sicher zu gehen, klopfte er noch einmal. Von der anderen Seite der Tür kam ein kurzes, strenges Bellen.
    »Raider?« fragte Hugh. Der Fuchsschwanz hatte ihm gesagt, daß das der Name des Hundes war. Ein hübscher Name, fand Hugh, auch wenn die Frau, der er gehörte, nicht alle Tassen im Schrank hatte.
    Das kurze Bellen ertönte abermals, jetzt nicht ganz so streng.
    Hugh holte ein Schlüsselbund aus der Brusttasche seiner karierten Joppe und betrachtete es. Er besaß dieses Bund schon seit sehr langer Zeit und wußte nicht einmal mehr, wozu einige der Schlüssel gehört hatten. Aber vier davon waren Dietriche, leicht zu erkennen an ihren langen Griffen, und sie waren es, die er brauchte.
    Hugh sah sich um, stellte fest, daß die Straße noch ebenso menschenleer war wie bei seiner Ankunft, und begann, einen der Dietriche nach dem anderen auszuprobieren.

5
     
    Als Nettie Pollys blasses, verquollenes Gesicht und ihre verstörten Augen sah, waren ihre eigenen Ängste, die auf dem Weg hierher wie scharfe Wieselzähne an ihr genagt hatten, vergessen. Sie brauchte nicht einmal auf Pollys Hände zu sehen, die sie nach wie vor auf Taillenhöhe hielt (an Tagen wie heute tat es fürchterlich weh, wenn sie sie herabhängen ließ), um zu wissen, wie es mit ihr stand.
    Die Lasagne wurde rasch auf einem Tisch am Fuß der Treppe abgestellt. Wenn sie heruntergefallen wäre, hätte Nettie sie keines zweiten Blickes gewürdigt. Die nervöse Frau, die die Leute auf den Straßen von Castle Rock zu sehen gewohnt waren, die Frau, die immer so aussah, als schliche sie davon, nachdem sie gerade irgendeine ruchlose Tat vollbracht hatte, selbst wenn sie nur auf dem Weg zur Post war, diese Frau war verschwunden. Dies war eine andere Nettie – Polly Chalmers’ Nettie.
    »Kommen Sie mit«, sagte sie energisch. »Ins Wohnzimmer. Ich hole die Heizhandschuhe.«
    »Nettie, es ist schon gut«, sagte Polly schwach. »Ich habe gerade eine Tablette genommen, und ich bin sicher, in ein paar Minuten...«
    Aber Nettie hatte bereits einen Arm um sie gelegt und führte sie ins Wohnzimmer. »Was haben Sie getan? Haben Sie vielleicht auf ihnen geschlafen?«
    »Nein – davon wäre ich aufgewacht. Es ist nur...« Sie lachte. Es war ein schwacher, verlegener Laut. »Es sind nur die Schmerzen. Ich wußte, daß sie heute schlimm sein würden, aber ich hatte keine Ahnung, wie schlimm. Und die Heizhandschuhe helfen auch nicht.«
    »Manchmal tun sie es. Sie wissen, daß sie es manchmal tun. So, und jetzt setzen Sie sich hier hin.«
    Netties Ton duldete keinen Widerspruch. Sie blieb neben Polly stehen, bis diese sich in einem Sessel niedergelassen hatte. Dann ging sie in das Badezimmer im Erdgeschoß, um die Heizhandschuhe zu holen. Polly hatte sie schon vor einem Jahr als nutzlos aufgegeben, aber Nettie brachte ihnen offenbar eine Verehrung entgegen, die an Aberglauben grenzte. Netties Version von Hühnerbrühe, hatte Alan sie einmal genannt, und sie hatten beide gelacht.
    Polly saß da, die Hände auf den Sessellehnen wie Stücke von weggeworfenem Treibholz, und blickte sehnsüchtig zu der Couch hinüber, auf der sie und Alan sich am Freitagabend geliebt hatten. Da hatten ihre Hände überhaupt nicht weh getan, aber sie hatte schon jetzt das Gefühl, als wären seither tausend Jahre vergangen. Ihr kam der Gedanke, daß Lust, ganz gleich wie tief empfunden, eine gespenstische, vergängliche Sache war. Liebe mochte bewirken, daß die Erde sich drehte, aber sie war überzeugt, daß es die Schreie der schwer Verwundeten und Leidenden waren, die das Universum auf dem großen Glasstab seiner Achse herumwirbeln ließen.
    Oh, du dämliche Couch, dachte sie. Oh, du dämliche Couch, was nützt du mir jetzt?
    Nettie kehrte mit den Heizhandschuhen zurück. Sie sahen aus wie gesteppte, durch ein elektrisches Kabel verbundene Topfhandschuhe. Aus dem Rücken des linken Handschuhs ragte eine Schnur mit einem Stecker heraus. Polly hatte eine Anzeige für die Handschuhe gesehen, ausgerechnet in Good Housekeeping. Sie hatte die National Arthritis Foundation angerufen und sich sagen lassen, daß die Handschuhe tatsächlich in manchen Fällen vorübergehende Linderung bewirkten. Als sie Dr. Van Allen die Anzeige zeigte, hatte er den Schlußsatz

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