In Liebe, Rachel
überall nachgesehen, die Urkunde ist nicht hier. Ich muss beim Standesamt eine beglaubigte Kopie anfordern.«
»Es ist Oktober.« Jo beäugte hungrig den Haufen Karotten auf dem Küchentisch. »Das Kind muss in die Schule.«
»Es könnte eine Woche dauern. Oder auch zwei.«
Jo ging rasch aus dem Weg, als Benito die Ofenklappe öffnete und sein Werk prüfend betrachtete. »Das ist unmöglich.«
»Ich weiß. Sie muss in Mathe und Rechtschreibung Wochen im Rückstand sein. Du solltest versuchen, das zu Hause mit ihr aufzuholen.«
»Schätzchen, ich bin keine Lehrerin.« Jo schüttelte den Kopf. »Zumindest nicht für den Stoff, den Grace deiner Meinung nach lernen soll.«
»Dann sprich mit dem Rektor oder engagier einen Hauslehrer. Du, ich muss los. Ich werde dir so schnell wie möglich die fehlenden Unterlagen schicken.«
Jo zog sich das Headset vom Kopf, warf es auf die Arbeitsfläche aus Granit und lehnte sich gegen den kühlen Stein. Jetzt also auch noch einen Hauslehrer! Sie sollte noch einen Experten für das Projekt engagieren. Für ein Projekt, dessen Budget bereits jetzt deutlich überzogen war.
Auf solche Weise hatte ihre Mutter sie sicher nicht aufgezogen, allein, in einer hinterwäldlerischen Kleinstadt. Eine Nanny in Manhattan kostete locker zweiunddreißigtausend bis vierundsechzigtausend Dollar im Jahr. Für die Wäscherei waren zusätzliche wöchentliche Kosten fällig, ebenso wie für die gelieferten Nahrungsmittel für einen Kühlschrank, der normalerweise gähnend leer war. Diese Wohnung kindersicher zu machen würde auch nicht billig werden, wenn sie sich anschaute, wie der Hydrant mit seinem Maßband herumfuhrwerkte. Sie hatte großes Glück, dass sie so viele Jahre lang voll in die Pensionskasse eingezahlt und auch beinahe ein Jahresgehalt für Notfälle zurückgelegt hatte. Sie war die Vizepräsidentin einer großen Medienagentur, sie bekam ein gutes Gehalt, sie konnte das alles finanzieren … doch geplant hatte sie es nicht. Rachels Gründe, ihr Grace anzuvertrauen, wurden immer nachvollziehbarer.
»Keine Fenstersicherung?«, rief der Hydrant. »Sie haben keine Fenstersicherung? Die Kleine könnte jeden Moment hinunterstürzen und auf der Zweiundachtzigsten Straße zu Brei werden! Welches Stockwerk ist das hier, das neunte?«
Jo sank auf einen der drei Barhocker an ihrem Küchentisch. »Benito, was halten Sie davon, wenn Sie mir eine schöne große Margarita mixen?«
»Nein, nein, keine Margarita.« Der Koch schob seine Unterlippe vor. »Die passt nicht zum Essen.«
»Dann ist doch hoffentlich ein ordentlicher Schluck Bourbon im Essen.«
»Sie haben mich engagiert, damit ich für ein Kind koche. Ich koche Makkaroni mit Käse.« Er öffnete die Ofenklappe mit behandschuhten Händen und zog die weiße Kasserolle heraus. »Sie sagen, sie isst nicht. Diesen Auflauf wird sie essen. Schauen Sie!«, rief er und zeigte ihr das Gericht, bevor er die Form auf einen Untersetzer stellte. »Die besten hausgemachten Gabelspaghetti – nach dem Rezept meines Vaters – mit den besten Käsesorten: geräucherter Gouda, Parmesan, ein Stück scharfer Cheddar und einem Tropfen Worcestersoße für den Geschmack, dann bestreut mit Brotkrumen, das Ganze perfekt gebräunt. Sie wird essen, jawohl, sie wird essen!«
»Benito, Sie sind ein Genie!«
»Deshalb haben Sie mich engagiert.«
Für hundertundfünfzig Dollar waren das die teuersten Makkaroni mit Käse, die je zubereitet wurden. Benito deutete eine Verbeugung an, bevor er sich den Karottenschnitzen widmete, die er zu Rosen formte.
Nachdem sich Jo eine Tasse frischen Kaffee eingeschenkt hatte, kehrte sie an ihren Laptop zurück. Zuerst suchte sie im Internet nach Hauslehrern für die Grundschule. Es gab unzählige Agenturen, die Hausunterricht für alle Altersstufen anboten. (Kindergarten?
Kindergarten?
Wozu brauchte ein Kindergartenkind einen Hauslehrer?) Jo tat, was sie schon den ganzen Vormittag über getan hatte: Sie entschied sich für die Agentur mit der größten Anzeige.
Die Türglocke läutete erneut, als sie sich gerade mitten in einem Telefonat mit einer munteren jungen Frau befand, die sich ausführlich über die Qualitäten der Tutoren im College-Alter ihrer Agentur ausließ. Jo bat sie, noch am selben Nachmittag jemanden vorbeizuschicken, und beendete das Gespräch, um die Tür zu öffnen.
Für Biker-Brunhilde.
Zumindest kam ihr beim Anblick der schrankförmigen Frau vor ihrer Tür dieser Name in den Sinn. Sie trug eine eng
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