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In meinem Himmel

Titel: In meinem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Sebold
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seinen Altmännergeruch, die Mottenkugelversion meines eigenen Vaters, das Blut auf der Erde, den Himmel im Himmel. Die Kumquat, das Stinktier, den teuren Tabak.
    Als die Musik verklang, hätte es ewig her sein können, seit wir angefangen hatten. Mein Großvater trat einen Schritt zurück, und das Licht in seinem Rücken wurde gelb.
    »Ich gehe jetzt«, sagte er.
    »Wohin?«, fragte ich.
    »Hab keine Angst, Schätzchen. Du bist ganz nah.«
    Er drehte sich um und ging davon, verflüchtigte sich rasch zu Flecken und Staub. Unendlichkeit.

19
    Als meine Mutter an diesem Morgen in der Weinkellerei Krusoe eintraf, wartete eine Nachricht auf sie, hingekritzelt in dem unvollkommenen Englisch des Verwalters. Das Wort
Notfall
war jedoch deutlich lesbar, und meine Mutter überging ihr morgendliches Ritual, einen frühen Kaffee, den sie trank, während sie hinaus auf die Weinstöcke starrte, die an Reihen stabiler weißer Kreuze emporwuchsen. Sie trat in den Teil der Kellerei, der öffentlichen Verkostungen vorbehalten war. Ohne die Deckenlampe einzuschalten, machte sie das Telefon hinter der hölzernen Theke ausfindig und wählte die Nummer in Pennsylvania. Keiner nahm ab.
    Dann wählte sie die Auskunft für Pennsylvania und fragte nach der Nummer von Dr. Akhil Singh.
    »Ja«, sagte Ruana, »Ray und ich haben vor ein paar Stunden einen Rettungswagen vorfahren sehen. Ich nehme an, dass sie alle im Krankenhaus sind.«
    »Wer war es?«
    »Ihre Mutter vielleicht?«
    Aber sie wusste von der Notiz, dass ihre Mutter diejenige war, die
angerufen
hatte. Es ging um eins der Kinder oder um Jack. Sie dankte Ruana und legte auf. Sie packte das schwere, rote Telefon und holte es unter der Theke hervor. Ein Stapel bunter Zettel, die sie an die Kunden verteilten - »zitronengelb = Junger Chardonnay, strohgelb = Sauvignon Blanc...« -, fiel von dort herab, wo er von dem Apparat beschwert worden war, und flatterte ihr um die Füße. Sie war, seit sie den Job hatte, immer früh gekommen, und jetzt sagte sie ein rasches Danke dafür. Danach fielen ihr nur noch die Namen der örtlichen Krankenhäuser ein, deshalb rief sie die an, in die sie ihre kleinen Kinder bei unerklärlichem Fieber oder mit nach einem Sturz möglicherweise gebrochenen Knochen gebracht hatte. Im selben Krankenhaus, in das ich einst Buckley gefahren hatte, hieß es: »In der Notaufnahme wurde ein Jack Salmon eingeliefert und ist noch hier.«
    »Können Sie mir sagen, was passiert ist?«
    »In welcher Beziehung stehen Sie zu Mr. Salmon?«
    Sie sprach die Worte aus, die sie seit Jahren nicht ausgesprochen hatte: »Ich bin seine Frau.«
    »Er hatte einen Herzinfarkt.«
    Sie legte den Hörer auf und setzte sich auf die Gummi-Kork-Matten, die auf der Seite der Angestellten den Boden bedeckten. Da saß sie, bis der Schichtleiter eintraf und sie die merkwürdigen Worte wiederholte:
Ehemann, Herzinfarkt.
    Als sie später aufschaute, befand sie sich im Lieferwagen des Verwalters, und er, dieser stille Mann, der kaum jemals das Weingut verließ, bretterte auf den internationalen Flughafen von San Francisco zu.
    Sie bezahlte ihr Ticket und bestieg ein Flugzeug, von dem sie in Chicago in ein anderes umsteigen musste, das schließlich in Philadelphia landen würde. Während der Flieger an Höhe gewann und sie in den Wolken begraben waren, lauschte meine Mutter fast abwesend den Glockenzeichen des Flugzeugs, die der Crew ansagten, was sie zu tun oder worauf sie sich vorzubereiten hatte, und sie hörte den Getränkewagen vorbeiwackeln, aber statt ihrer Mitreisenden sah sie den kühlen, steinernen Bogengang der Weinkellerei, hinter dem die leeren Eichenfässer aufbewahrt wurden, und statt der Männer, die oft dort drinnen saßen, um der Sonne zu entkommen, sah sie meinen Vater da sitzen, der ihr die zerbrochene Wedgwood-Tasse entgegenhielt.
    Als sie zu einem zweistündigen Aufenthalt in Chicago landete, hatte sie sich genügend gefasst, um eine Zahnbürste und eine Schachtel Zigaretten zu kaufen und im Krankenhaus anzurufen, diesmal mit der Bitte, mit Grandma Lynn sprechen zu dürfen.
    »Mutter«, sagte meine Mutter. »Ich bin in Chicago und bald zu Hause.«
    »Gott sei Dank, Abigail«, sagte meine Großmutter. »Ich habe noch mal bei Krusoe angerufen, und die sagten, du seist zum Flughafen unterwegs.«
    »Wie geht es ihm?«
    »Er fragt nach dir.«
    »Sind die Kinder da?«
    »Ja, Samuel auch. Ich wollte dich heute anrufen und dir erzählen, dass Samuel Lindsey einen Heiratsantrag gemacht

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