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In meinem Himmel

Titel: In meinem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Sebold
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    Schwester Eliot, die sich meiner Mutter von vor acht Jahren entsann, erbot sich, ihr zu helfen, als sie sie, die Arme voller Blumen, den Flur entlangkommen sah. In einem Vorratsschrank trieb sie zusätzliche Krüge auf, und gemeinsam füllten sie und meine Mutter diese mit Wasser und stellten die Blumen überall im Zimmer meines Vaters auf, während er schlief. Schwester Eliot fand, dass meine Mutter, falls Verlust als Maßstab für die Schönheit einer Frau gelten kann, noch schöner geworden war.
    Lindsey, Samuel und Grandma Lynn waren früher am Abend mit Buckley nach Hause gefahren. Meine Mutter war noch nicht dazu bereit, das Haus zu sehen. Sie konzentrierte sich ausschließlich auf meinen Vater. Alles andere würde warten müssen, vom Haus und dem schweigenden Vorwurf, den es darstellte, bis zu ihrem Sohn und ihrer Tochter. Sie brauchte etwas zu essen und Zeit zum Nachdenken. Statt in die Krankenhauscafeteria zu gehen, deren helle Lichter sie nur an all die vergeblichen Anstrengungen erinnerten, die Krankenhäuser unternehmen, um die Leute für weitere schlechte Nachrichten wach zu halten - der schwache Kaffee, die harten Stühle, die Aufzüge, die in jeder Etage anhielten -, verließ sie das Gebäude und ging den schräg nach unten und vom Eingang wegführenden Bürgersteig entlang.
    Inzwischen war es draußen dunkel, und der Parkplatz, auf den sie einst mitten in der Nacht in ihrem Nachthemd gefahren war, war mit nur wenigen Autos gesprenkelt. Sie schmiegte sich in die Strickjacke, die ihre Mutter ihr dagelassen hatte.
    Sie überquerte den Parkplatz, wobei sie in den dunklen Autos nach Anhaltspunkten dafür suchte, wer die Menschen im Krankenhaus sein mochten. In einem Wagen waren Kassetten über den Beifahrersitz verstreut, in einem anderen sah sie einen sperrigen Kindersitz. Es wurde zu einem Spiel für sie, in jedem Auto etwas zu entdecken. Eine Methode, um sich nicht so allein und fremd zu fühlen, als ob sie als Kind im Haus der Freunde ihrer Eltern Spionin spielte. Agentin Abigail an Einsatzleitung. Ich sehe einen struppigen Spielzeughund, ich sehe einen Fußball, ich sehe eine Frau! Da war sie, eine Unbekannte, die auf dem Fahrersitz hinter dem Lenkrad saß. Die Frau bemerkte nicht, dass meine Mutter sie anschaute, und sobald sie ihr Gesicht erblickte, richtete meine Mutter ihre Aufmerksamkeit von ihr weg auf die hellen Lichter des alten Speiselokals, das ihr Ziel war. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, was die Frau tat. Sie wappnete sich dafür, hineinzugehen. Sie kannte den Gesichtsausdruck. Es war der Gesichtsausdruck einer Frau, die sich nichts sehnlicher wünscht, als woanders zu sein als dort, wo sie ist.
    Sie stand auf dem Grünstreifen zwischen dem Krankenhaus und dem Eingang zur Notaufnahme und sehnte sich nach einer Zigarette. Heute Morgen hatte sie sich keine Fragen gestellt. Jack hatte einen Herzinfarkt gehabt; sie würde heimfahren. Aber jetzt und hier wusste sie nicht mehr, was sie tun sollte. Wie lange würde sie warten, was würde geschehen müssen, ehe sie wieder abreisen konnte? Hinter sich auf dem Parkplatz hörte sie das Geräusch einer sich öffnenden und schließenden Autotür - die Frau ging hinein.
    Das Lokal nahm sie wahr wie in einem Nebel. Sie setzte sich allein in eine Nische und bestellte die Sorte Essen - paniertes Steak -, die in Kalifornien nicht zu existieren schien.
    Sie dachte noch darüber nach, als ein Mann direkt ihr gegenüber sie beäugte. Sie registrierte jede Einzelheit seines Äußeren. Es geschah automatisch und war etwas, das sie im Westen nicht tat. Als sie nach meiner Ermordung in Pennsylvania lebte, nahm sie, wenn sie einen fremden Mann sah, dem sie nicht traute, innerlich sofort eine Analyse vor. Das ging schneller - die Pragmatik der Angst anzuerkennen -, als sich diese Art zu denken zu verbieten. Ihr Essen kam, paniertes Steak und Tee, und sie konzentrierte sich darauf, auf die grobkörnige Panade um das zähe Fleisch, auf den metallischen Geschmack alten Tees. Sie glaubte nicht, dass sie es länger als ein paar Tage aushalten konnte, zu Hause zu sein. Überall, wo sie hinschaute, sah sie mich, und in der Nische gegenüber sah sie den Mann, der mich womöglich ermordet hatte.
    Sie aß auf, bezahlte und verließ das Lokal, ohne den Blick über Taillenhöhe zu heben. Eine an der Tür angebrachte Glocke klingelte, und sie schrak so zusammen, dass ihr Herz in der Brust hochsprang.
    Sie schaffte es unversehrt über den

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