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Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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Jägermeister
noch Auto fahre?«
    »Der Herr Kriminalrat ist blind, wenn es darum
geht. Auch bei sich selbst«, antwortete Jung.
    Ihm war bei seiner Antwort nicht wohl. Nicht
nur wegen der unnatürlichen Forschheit, die ihm eher peinlich war, sondern auch,
weil er sich ernstlich fragte, ob sie noch ihre Autos bewegen sollten. Schließlich
waren sie nicht allein auf den Straßen.
    Sie verabredeten, ihr Gespräch in der nächsten
Woche auf Sylt fortzusetzen. Vorher wollten sie miteinander telefonieren.
    »Ich wünsche dem Herrn Kriminalrat eine gute
Heimkehr. Ihr kleines Frauchen wartet sicherlich schon auf Sie.«
    »Mein ›kleines‹ Frauchen ist 172 cm groß und
wiegt 68 Kilo. Sie ist eher der Typ ohne klassisches Frauenschicksal.«
    »Entschuldigung, ich wollte Sie nicht beleidigen.
Kommen Sie gut nach Hause. Bis dann.«
    Jung schloss die Autotür hinter ihr und winkte
zum Abschied freundlich. Er schüttelte den Kopf und fuhr zurück nach Flensburg.

Die Apothekerin
     
    Jung hatte wenige Tage später mit Helga Bongard telefoniert. Sie hatten
sich für den folgenden Tag in Westerland auf Sylt zum späten Frühstück im Café Wien
verabredet. Um einen Dienstwagen wollte Jung nicht betteln und anstehen müssen.
So bestieg er am frühen Morgen sein Privatauto und fuhr erneut nach Holtbüll, um
hier die Nord-Ostsee-Bahn nach Westerland zu nehmen. Er löste eine Fahrkarte am
Bahnsteigautomaten und wartete mit vielen anderen auf den in Kürze eintreffenden
Zug.
    Das Wetter hatte sich geändert. Nachdem es
in der vergangenen Nacht länger geregnet hatte, strich jetzt ein frischer Westwind
über das platte Land und schob schwarzgraue Wolkenfronten vor sich her. Dazwischen
fand nur sporadisch der wärmende Glanz der Sonne seinen Weg zu den Wartenden. Jung
fröstelte. Er steckte seine Hände in die Jackentaschen und zog die Schultern ein.
Neben ihm fiel eine Gruppe bunter Frührentner aus einem unmittelbar neben dem offenen
Bahnsteig parkenden Bus. Sie verbreitete sofort die lärmende Unruhe eines seiner
Aufsicht entwichenen Kindergartens.
    Jung ergatterte einen Sitzplatz, musste aber
zu seinem Leidwesen ertragen, dass vor und hinter ihm die Frührentner die Plätze
erobert hatten. Direkt hinter ihm hatte eine Frau ihren Sitz eingenommen und stützte
die Ellenbogen auf Jungs Rückenlehne. Es kam zu einer Auseinandersetzung zwischen
dem Zugbegleiter und dem sichtlich überforderten Anführer der Rentnergang. Warum
gerade er als Anführer auserkoren worden war, blieb für Jung unergründlich. Vielleicht
war er in seiner aktiven Zeit Regierungsrat, Intendanturrat [11] oder Kriminalrat gewesen, und seine Mitrentner
dienten ihm deshalb automatisch die Führungsfunktion an. Er hatte sie einfach zu
ertragen, wie man eine Warze oder ein Muttermal zu ertragen hat. Der Zugbegleiter
stritt mit ihm über das Gruppenticket, das für die anwesende Anzahl Rentner nicht
ausreichte. Er verlangte eine Nachlösung.
    »Das geht aber nicht«, schimpfte die Frau in
Jungs Rücken laut. »Die anderen fahren mit dem nächsten Zug. Die haben die richtige
Fahrkarte dabei. Das müssen Sie uns glauben. Wir sind doch keine Lügner.«
    Der Schaffner wandte seinen Kopf in Richtung
der keifenden Stimme und beschwichtigte die Frau mit freundlicher Nachsicht: »Liebe
Frau, hier geht es um Ihre Fahrkarte, und die reicht nicht aus. Sie müssen sich
richtig aufteilen. Einige von Ihnen hätten auf Ihre Freunde und den nächsten Zug
warten sollen. So kann ich gar nichts machen. Verstehen Sie das?«
    »Nein, das ist frech und mal wieder typisch
für die Bundesbahn«, keifte sie unbeirrt weiter. Der Schaffner hätte sagen können,
was er wollte, die Frau hätte ihm niemals zugehört. Selbst der Hinweis, dass sie
nicht in einem Zug der Bundesbahn sitze, hätte sie nicht erreicht, sondern wäre
nur ein willkommener Beweis gewesen, wie recht sie mit ihrem Geschimpfe habe. Er
wandte sich kopfschüttelnd wieder dem Gruppenführer zu.
    »Unmöglich ist das. Unglaublich. So ein Esel!«,
schleuderte sie dem Bahnmenschen mit einer von unterdrückter Wut verzerrten Stimme
hinterher. In Jungs Ohren schrillte es unangenehm, und sein Rücksitz bebte heftig
unter den Schlägen ihrer geballten Fäuste. Er drehte seinen Kopf schräg nach hinten
und blickte von unten in ein grob geschminktes, panisch verzerrtes Gesicht, auf
dessen Lippen eine fette, über die Ränder verschmierte Schicht Niveacreme aufgetragen
war.
    »Können Sie sich bitte auf Ihren Sitz setzen
und mir nicht weiter

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