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Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Titel: Irgendwann werden wir uns alles erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Krien
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und dann mit dem Bus weiter in die Kreisstadt. Insgesamt habe ich etwa eine Stunde und fünfzehn Minuten gebraucht. Zurück ging es nicht so schnell, denn da musste ich den Berg wieder hinauf.
    Jetzt fahre ich meistens mit dem Johannes auf dem Motorrad zur Schule, aber seit einiger Zeit gehe ich nicht mehr oft hin. Meine Fehlstunden zähle ich gar nicht mehr. Ich weiß, ich werde es nicht schaffen. Meine Vormittage verbringe ich mit Büchern und Zigaretten; am Nachmittag fahren wir oft übers Land, manchmal in die Stadt, in das Künstlercafé. Dort trinkt man schon vor dem Dunkelwerden Wodka und Wein, und andauernd wird geredet. Dem Johannes gefällt das; ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll.
    Später dann steigen wir die Treppen hinauf in unsere Spinnenzimmer und lieben uns. Johannes löscht das Licht, er ist zärtlich und sanft unter der Bettdecke; noch niemals hat er mir wehgetan. Er ist mein erster Mann. Ich glaube, ich liebe ihn.

Kapitel 2
    AM NÄCHSTEN MORGEN um zehn – Johannes ist längst in der Schule – vibriert der Fußboden unter meinen bloßen Füßen. Ich stehe am Waschbecken vor dem Spiegel und bürste stolz mein langes Haar; das Klopfen jedoch kann ich nicht ignorieren. Es kommt aus der Wohnung unter uns, es kommt von der Frieda. Sie steht in der Stube vom Alfred, mit dem Besen in den abgearbeiteten Händen, und schlägt das Stielende gegen die Decke. Es hilft nichts, ich muss hinuntergehen. Wenn ich nicht käme, würde sie mit einem Kochlöffel gegen den Heizkörper schlagen –so lange, bis ich käme. Sie weiß, ich schwänze die Schule. Sie ist nicht einverstanden damit, aber wo ich schon einmal da bin, kann ich ebenso gut beim Kochen helfen. Die Frieda ist eine praktische Frau.
    Auf dem Giebelfenstersims liegt mein Buch; eigentlich wollte ich in den Garten gehen und lesen. Ein bisschen ärgerlich bin ich jetzt doch über die Frieda, aber es hilft nichts. Dmitri Karamasows Schicksal muss warten, bis die Kartoffeln geschält sind und die Zwiebeln geschnitten.
    Armer Dmitri, wird Gruschenka dich erhören?
    Als Zeichen, dass ich verstanden habe, klopfe ich mit dem Holzstiel meiner Haarbürste dreimal gegen den Heizkörper. Ich soll nicht mit den Füßen stampfen, dann bröckelt Farbe auf den Stubenboden, und der Alfred muss sie wegfegen. Bevor ich gehe, öffne ich die Fenster, gieße den Lavendel in den Blumenkästen und rauche eine erste Zigarette. Ein herrlicher Schwindel zwingt mich einen Augenblick zu Boden, und ich stütze mich auf die Fensterbank und sehe in den Hof hinaus. Dort steht Marianne vor dem Stall und beschaut das frische Kalb. Die Liese hat es geschafft. Von drei bis fünf Uhr morgens hat sie gekämpft und schließlich, nicht ganz ohne Hilfe, ein gesundes Kälbchen geboren. Siegfried ist gegen vier Uhr dazugekommen, hat lange zugesehen und sich schlussendlich den langen Gummihandschuh über den starken Arm gezogen, ein Seil an die Vorderbeine des Kalbs gebunden und es herausgeholt. Nun steht es mit wackligen Beinen unter der Mutter und saugt an den Zitzen seine erste Milch. Es ist ein sonniger Tag. Später werde ich vielleicht mit Johannes am Flussufer liegen und in seinen blonden Haaren wühlen. Sie scheinen das Einzige zu sein, was er vom Vater hat: die dicken blonden Haare. Wenn uns die Hitze aufgeladen hat, gehen wir zum alten Schuppen am Wehr und machen Liebe. So nennt es die Marianne, wenn sie vor der Badezimmertür steht, die nicht abgeschlossen werden kann, und Johannes und ich gemeinsam baden. »Macht ihr Liebe, oder warum dauert das so lange? Der Siegfried wird gleich hereinkommen, er soll dich nicht nackig sehen, Maria.« Dann muss ich immer kichern, und Johannes taucht den Kopf unters Wasser.
    Zum Mittag gibt es Eintopf mit Fleischeinlage, Selbstgeschlachtetes, versteht sich. Ich bin eigentlich Vegetarierin. Seit mir die Oma Traudel meinen Lieblingshasen Matze an einem Ostersonntag als fertigen Braten vorsetzte und mir der Opa Lorenz erst nach dem Essen sagte, dass es der Matze gewesen ist, habe ich kein Fleisch mehr angerührt. Den armen Matze habe ich wieder ausgespien. Da war ich zwölf; das ist nun fast fünf Jahre her.
    Der Siegfried mag keine Vegetarier, obwohl er vorher noch nie einen getroffen hat. An Sonntagen legt er mir wortlos das beste Stück Fleisch auf den Teller, ich lege es dann ebenso wortlos zurück. Aber ein paarmal probierte ich heimlich ein Stück; es schmeckte wirklich gut.
    Gesprochen wird wie immer wenig. Der Siegfried macht nicht

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