Isenhart
Mädchen, das er in einer Mischung aus Mitleid und Interesse musterte.
Der Ältere warf nun auch einen Blick auf den Leichnam. »Ich bin Günther von der Braake«, sagte er mit einer angenehm sonoren Stimme, »Medicus der Stadt Spira. Man hat nach mir und meinem Sohn Henning verlangt.«
Kurz waren die anderen irritiert.
»Das … muss ein Irrtum sein«, befand Haintz schließlich und deutete mit dem Kopf in Isenharts und Konrads Richtung, »da sind schon zwei Wachmänner aus Spira.«
Henning deutete zur Begrüßung ein Nicken an, das Konrad und Isenhart erwiderten.
»Wir waren nur zufällig hier«, klärte Konrad auf.
Günther kniete sich neben die tote Lilith, um sie näher zu inspizieren. »Ist das deine Tochter, die ermordet wurde?«
»Ja«, brachte Haintz hervor, »aber der Wachmann da hat sie schon untersucht.«
Günther und sein Sohn richteten ihre Augen auf Isenhart. Henning mit einer gewissen Neugier, Günther mit einer leichten Herablassung, die sich auch in seinen Worten spiegelte: »So. Und was habt Ihr herausgefunden? Dass das arme Kind tot ist?«
Henning blinzelte kurz, was wiederum Isenhart nicht entging. Die Haltung des Vaters war ihm offenbar unangenehm.
»Eine Kleinigkeit mehr schon«, erwiderte Isenhart ruhig.
»Nämlich?« Günther von der Braake stellte die Frage, ohne ihn anzusehen. Im Augenblick galt seine ganze Aufmerksamkeit der großen Verletzung im Bereich des Brustkorbs.
»Ihr Mörder hat sie mit zwei Stichen in den Kopf getötet. Die Wunden findet Ihr im Nacken.«
Günther stutzte kurz, fuhr dann aber mit der Inspektion des Leichnams fort.
»Es ging ihm nicht um Begierde, das arme Mädchen ist unberührt, sie trägt ihr Hymen noch.«
Es war, als stünde die Zeit still, selbst das Vieh im Stall schien sich für Augenblicke nicht zu regen. Die beiden von der Braakes verharrten gleichzeitig in ihren Bewegungen, um im Anschluss Isenhart eingehend zu mustern. In ihren Blicken lag Überraschung.
»Sagtet ihr nicht, Ihr seid Wachmann zu Spira?«, fragte Henning.
Isenhart sollte sich noch oft an ihr erstes Zusammentreffen erinnern, an diese Hoffnung in Hennings Blick, die er erst wenig später einzuordnen wusste. »Ich sagte es nicht«, antwortete Isenhart, der aufgestanden war, »aber ich bin es.«
Günther von der Braake hatte, sichtlich beeindruckt, seine Leichenschau unterbrochen. Wie sein Sohn klebte auch er an den Lippen dieses schmalen, fast unscheinbaren Wachmannes.
»Und was noch?«, fragte Günther.
»Er wollte ihr Herz«, fuhr Isenhart fort, »die Gradlinigkeit von Horizontal- und Vertikalschnitt, mit der er die Haut geöffnet hat, belegt, dass sein Opfer zu diesem Zeitpunkt bereits tot war.«
Henning konnte nicht anders, er musste schmunzeln. Sein Vater war ein weit gereister, gebildeter Mann, der sein Handwerk nicht nur in Britannien und Paris, sondern auch in Bagdad, Konstantinopel und Jaffa erlernt hatte. Dass nun ein einfacher Wachmann aus einer Leichenschau dieselben Rückschlüsse zu ziehen vermochte wie Günther von der Braake, konnte diesem kaum behagen.
Der verfolgte mit den Augen die Schnittlinien und nickte. »Der Mörder hat die Rippen durchtrennt«, hielt er fest.
»Dazu hat er sich wahrscheinlich einer Säge bedient«, ergänzte Isenhart, »Ihr seht es an der Schnittkante. Eine Klinge hätte die Knochenstruktur an den Rändern nicht so aufgerissen, wie Ihr es hier vorfindet.«
Erneut führte diese Einlassung zu einer Zäsur bei der Untersuchung der Toten.
Und als sein Vater den Blick zu ihm wandte, bemühte Henning sich, kein Lächeln erkennen zu lassen. »Fehlt ihr das Herz?«, fragte er.
Sein Vater nickte.
»Warum sollte der Mörder es an sich genommen haben?«
Die Frage richtete Henning von der Braake dieses Mal direkt an Isenhart, der ein Achselzucken andeutete.
»Das weiß ich nicht«, bekannte er.
Endlich etwas, was dieser Wachmann nicht zu beantworten in der Lage war, dachte Henning. Und war doch zugleich eingenommen von der uneitlen Direktheit, mit der Isenhart sich zu seinen Grenzen bekannte.
Günther von der Braake erhob sich. »Mich wundert, dass wir uns in Spira noch nicht begegnet sind«, stellte er fest.
»Ich bin nur mit Wachdiensten betraut«, antwortete Isenhart.
Seine natürliche Zurückhaltung weckte das Interesse des Medicus und seines Sohnes.
»Gibt es noch etwas, was Ihr über den Mord herausgefunden habt?«, fragte Günther. Sein Ton, seine ganze Haltung hatte jede Spur von Herablassung verloren.
»Nur das hier«,
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