Jacob beschließt zu lieben - Roman
mit einem toten Schwein aufgetaucht war. «Nea Grigore schickt es euch. Das Zweite, das wir noch hatten, hat er für sich behalten, als Lohn. Den Rest hat vor Kurzem die Armee requiriert.» Wir brachten das Schwein in den Keller, um es am nächsten Tag zu zerlegen. Außer etwas Marmelade, sauren Gurken und einigen Flaschen Schnaps von unserenbesten Pflaumen des Vorjahres war nicht mehr viel von unseren Vorräten übrig geblieben.
Am nächsten Morgen sahen wir zum ersten Mal die Russen, die inzwischen die Stadt besetzt hatten. Es waren blonde Männer, die sich neben dem nahen Akazienwäldchen an einem Wagen zu schaffen machten, auf dem eine ganze Reihe von Röhren installiert war. In der kühlen, schwachen Sonne glänzten sie metallisch, als ob das Feld eine neuartige Pflanze geboren hätte. Wie eine solche richteten sie sich zielstrebig gegen den Himmel auf, je mehr die kräftigen Männerarme an den Rädchen drehten.
Die knappen Befehle des Offiziers wurden vom Wind zu uns getragen. Zu den vielen Sprachen, die sich in dieser Gegend bisher vermischt oder nicht vermischt, sondern sich bloß ertragen hatten, kam nun Russisch hinzu. Das Russisch eines Mannes, der seine Waffe gegen die Stadt richtete. Es klang für unsere noch ungeübten Ohren wie ein Gebell. Das Geräusch einer anbrechenden Zeit.
Vater und Großvater standen schon in Unterhosen und Stiefeln da. Sie trugen Metzgerschürzen darüber und hielten Messer in den Händen, mit denen sie das Schwein ausweiden wollten. Auch Sarelo war dabei, sich auszuziehen. Als Großvater durch die Vorhänge hindurch die seltsame Waffe sah, ließ er sein Messer fallen.
«Stalinorgel», flüsterte er.
«Die Deutschen wollen die Stadt wieder einnehmen. Sie ist ihnen zu wichtig. Es heißt, dass sie vor Temeschwar Panzer und Kanonen zusammengezogen haben. Lange kann es nicht mehr dauern, bis es losgeht», meinte Vater.
«Als ich gestern durch die Stadt gefahren bin, habe icheinen getroffen, den ich kenne. Er sagte, dass viele die Stadt verlassen haben. Und überall hat man rumänische und russische Soldaten gesehen», ergänzte Sarelo.
«Krieg? Bei uns?», fragte Mutter ungläubig.
Bis zum Sommer hatten wir uns daran gewöhnt, dass der Krieg bei uns nicht stattfand, sondern nur in den Wochenschauen, Radioberichten und Zeitungen. Auch wenn man uns die letzten Tiere, sogar die Hälfte von Großvaters Pferden, weggenommen hatte. Er streifte uns nur, wie die schwachen Böen eines Gewitters, das anderswo tobte. Dann, auf einmal, war der Krieg da gewesen, mächtiger denn je.
Schon am 16. Juni hatten die Alliierten Brandbomben über uns abgeworfen, ganze Schwärme hatten ihre Gedärme über der Stadt entleert. Die Sirenen hatten geheult und bis in den August nicht mehr damit aufgehört. Großvater und ich hatten es erlebt, aber für Vater und Mutter fing der Krieg erst mit den Russen vor unserem Fenster an. Denn inzwischen waren die Alliierten in der Stadt und die Deutschen draußen.
Sarelo und ich drängten nach vorn, um jene Waffe zu sehen, von der wir nur vom Hörensagen wussten. Auf eine eigenartige Weise verzaubert und zum Verstummen gebracht, starrten wir auf die Maschinerie, die inzwischen mit einem bräunlich grünlichen Netz getarnt worden war. Plötzlich drehte sich Mutter um und hielt sich den Handrücken vor den Mund. «Jesusmariaundjosef!», rief sie aus. «Schaut euch um, unser Haus ist die wahrste Anklage gegen uns. Hitler hängt an der Wand, und überall liegen
Signal
-Hefte und deutsche Bücher herum.» Tatsächlich hatten wir die Säuberung unseres Hauses von den Spuren unserer Sache vernachlässigt. Ihre Tilgung,wenn schon nicht aus unserem Gedächtnis, dann von überall dort, wo sie uns verraten hätte.
Zwar teilten Vater und Großvater kaum die Gesinnung der anderen Deutschen, doch umso mehr die Schuld. Das war ihnen längst klar. Sie waren Bauern, für die so etwas wie Nationalsozialismus, etwas, das sich nicht auf ihrem Boden abspielte, so abstrakt war wie die Behauptung, dass die Erde rund war und sich um die Sonne drehte. Doch wer hätte uns das geglaubt, mit dem größten Feldherrn aller Zeiten im Haus?
Auf dieselbe, verspätete Idee wie wir war auch Paul, der Nachbarssohn, gekommen. Von einem anderen Fenster aus sahen wir, wie er sich vorsichtig aus dem Haus stahl und im Garten eine Kiste begrub. Wir waren uns sicher, dass darin die Hakenkreuzfahne lag, die er für den Endsieg aufbewahren wollte, und die SS-Uniform, die er noch am Tag seiner
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