Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
beschweren. Wie im Deutschland der mittleren dreißiger Jahre.
Und schließlich habe Deutschland sich in den Krieg gegen die spanische Revolution gemischt. Wie die U. S. A.
Viet Nam ist das Spanien unserer Generation! Das sagen solche Leute.
Aber sie bitten nicht ihre Freunde, die französischen Industriellen, um diskrete Geldspenden für die Partei im Krieg, der sie den Sieg wünschen.
Öffentliche Reden halten sie, daß doch Keiner dächte, sie seien insgeheim Anhänger der Amerikaner. Die Freunde der legalen spanischen Regierung schickten Schiffsladungen voll Sanitätszeug, sie brachten große Schecks mit, sie nahmen Gewehre in die Hand und kämpften in Brigaden gegen die Militärclique, und Einer sah es sich wenigstens an, ein Buch darüber zu schreiben.
Hier erst, nach dem spanischen Bürgerkrieg, der für den in Viet Nam steht, nunmehr sieht Herr Enzensberger seine Analogie zusammenbrechen. Da sei zum Beispiel die Vernichtungskraft von Herrn Enzensbergers gegenwärtiger Herrschaft. Davon hätten die Nazis nie träumen können.
Und wenn sie es doch taten und träumten von einer Rakete mit einer Reichweite bis New York, um so schlimmer für die Träume. Es gehe auch nicht mehr so grob zu: sagt Herr Enzensberger. Der Widerstand mit Worten sei heute lizenziert, wohlgeregelt und werde sogar von den Mächtigen ermutigt. Die sind es also, die ihn ermutigen.
Es ist eine mißliche und trügerische Freiheit für Herrn Enzensberger. Er stellt sich eine Zensur vor und offene Unterdrückung, hart und ehrlich; das will er aber auch nicht.
Lieber Herr Vorsitzender: sagt er.
Drei Monate habe er gebraucht um einzusehen, daß er mit einer Vorzugsbehandlung habe entwaffnet werden sollen; daß er unglaubwürdig geworden sei, sobald er Einladung und das ganze Geld angenommen hatte; und daß alles entwertet sei, was immer ihm aus dem Mund komme, einfach weil er zu solchen Bedingungen in Middletown, Conn., anwesend war.
Gegen das westdeutsche Geld will er sich wohl verteidigen; dem Dollar fühlt er sich nicht so gewachsen.
Ihm ist ein Rat gegeben worden: einen Intellektuellen soll man nicht nur nach seinen Gedanken beurteilen; was den Ausschlag gebe, sei die Beziehung zwischen seinen Gedanken und seinen Handlungen. Jetzt handelt Herr Enzensberger. Jetzt verläßt er eine kleine Stadt nördlich von New York und fährt nach San Francisco zu und von da auf eine Reise rund um die Welt. Nicht doch. Rund um die Erde.
Denn es sei eine Sache, den Imperialismus (da ist es wieder, das obszöne Wort) in Ruhe zu studieren. Wenn man ihm anderswo ins weniger gutwillige Angesicht schaue - ja, Bauer, das ist ganz was anderes.
Er sei in Cuba gewesen. Die Agenten der C. I. A. auf dem Flugplatz von Mexico City hätten jeden Passagier nach Cuba fotografiert!
Das lassen andere Länder ihre Geheimdienste nicht tun: fotografieren.
Sie dringen auch nicht in kleinere Länder ein und hinterlassen dort Spuren; ihr wirtschaftliches System hinterläßt keine Narben auf Leib und Geist eines kleinen Landes. So ist es.
Herr Enzensberger hat es selbst gesehen.
Herr Enzensberger hat sich entschlossen, nach Cuba zu gehen und dort eine beträchtliche Zeit zu verbringen. Das dürften drei Jahre sein.
Es sei dies kaum ein Opfer.
Er hat eben einfach so den Gedanken, daß er von den Bewohnern Cubas mehr lernen kann (»Freude«), als den Studenten der Wesleyan University an politischer Haltung beibringen.
Er will dem cubanischen Volke von Nutzen sein. Er selbst, in eigener Person, will einem ganzen Volk von Nutzen sein.
Die Verwandlung des Herrn Enzensberger in den Nutzen des cubanischen Volkes, dargestellt auf offener Bühne. Keine Tricks, keine doppelten Vorhänge, keine Schleier!
Dieser Brief sei der magere Dank für drei friedvolle Monate.
Drei friedvolle Monate waren es immerhin.
Es sei ihm wohl klar, daß sein Fall als solcher von keiner Wichtigkeit, von keinem Interesse sei für die Welt jenseits der Universität.
Da geht er hin und veröffentlicht sich in der New York Review of Books.
Weil sein Fall doch immerhin Fragen aufwirft.
Das tut er.
Die ihn nicht allein angehen.
Gewiß.
Die er darum in der Öffentlichkeit beantworten will.
Nein, nicht so selbstsicher, so zuversichtlich. Die er versuchen will, zu beantworten.
So gut er kann.
So gut er kann. Und sind es auch die richtigen Fragen?
Nun wollen wir doch sehen, wie er sich dem Universitätspräsidenten unterschreibt, der ihn durch Privilegien entwaffnen wollte, ihn
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