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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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was sich gehört.
    Ich bitte dich nicht; ich erkläre dir einen Vorschlag.
    Das hältst du für mein Leben; du zeigst mir höflichen Spott, wenn du es beobachtest, du richtest aber Abstand ein. Du hast vieles gesehen; ich bestreite nicht mehr, daß es so aussieht. Daß ich in der Arbeit abwesend bin, nur noch Fähigkeit, nicht Person. Daß ich längst aufgegeben habe, meine Arbeit zu rechtfertigen. Was die Sowjets nach dem Krieg in Mecklenburg angestellt haben, es reicht nicht; was die Amerikaner in der Welt anstellen, seit die Phase des Kaufens vorbei ist, es reicht nicht. In diesem verschränkten System wäre ich mit jedem Beruf Funktion; diesen Beruf habe ich. Auf der einen wie der anderen Seite nicht wäre ich von Nutzen über den Nutzen des Auftraggebers hinaus. Die andere Seite; es ging nicht mit ihr. Diese ist mir wenigstens gleichgültig. Eben das Fehlen biographischer Anstöße entsetzt dich; ich verfüge über keine Biographie, es sei denn eine tabellarische. In solchem Zustand der Langeweile kann Einer viel Lärm machen mit Flugzeugen und Autos und der Maschinerie des Berufs; andere mag es täuschen, ihn nicht. Dich auch nicht. Bliebe ich allein, ich wollte die nächsten zwanzig Jahre nur noch sehen, jedoch ohne auf der Seite meiner eigenen Prognosen zu sein, lediglich mit Neugier; viel anderes ist nicht übrig. Nenne es warten.
    Du lebst so nicht; für dich gibt es immer noch wirkliche Sachen: den Tod, den Regen, die See. In der Erinnerung weiß ich es, ich komme dahin nicht zurück. Was mir wirklich vorkommt, bist du.
    Wo ich eine alte Frau mit Eigenheiten habe, weil sie noch lebt, hast du eine rundum belebte Vergangenheit, Gegenwart mit Toten, und noch deine Marie weiß genauer wer sie ist, weil ihre Herkunft ihr bekannt gemacht wird. Da ist etwas, ich treffe es nicht mit Worten. Nie werde ich von meiner eigenen Mutter so bestimmt sagen können, sie sei mehr gewesen, als ich von ihr gesehen, gehört, angehört habe; du gehst hin und sagst: Meinem Vater ging es nicht um eine Rache, an den Nazis machte er sich nicht die Hände schmutzig; was doch eine unbegreifliche Feststellung ist, weil nicht beweisbar. Und ich glaube es dir aufs Wort, als eine Wahrheit, mit der du dich durchs Leben bringst; oft als Wahrheit. Gewiß ich kenne die Lebenden an den Stellen, wo sie zum Funktionieren kommen; es gibt solche, die würden mir fehlen. Das sieht freundlich aus, auch freundschaftlich; und hinterher sind es ein paar Stunden Geselligkeit gewesen, ohne Kränkung und mit Genuß am anderen. Dann war es doch nicht, und nur wieder etwas Zeit vorüber. Du kommst noch nicht an einem Pferd vorbei, ohne ihm in die Augen zu sehen, es zu berühren, bis das Pferd weiß wer da war. Darum geht es dir nicht; das haben die anderen davon. Ich wünschte, du würdest mit mir leben.
    Du kannst sprechen; ich kann es nicht. Du sagst von deiner Amanda Williams: Sie liegt am Boden mit ihrer Seele. In anderer Gesellschaft wüßte ich, daß soeben ein unschickliches Wort gefallen ist, und würde es je nach Wahl wegreden oder nackt stehen lassen; bei dir verstehe ich unter dem Begriff unverhofft die Summe der Beziehungen, die eine Person ausmachen, einschließlich des nicht erklärten oder noch nicht erkannten Anteils. Du hast von ihr auch schon gesagt: sie sei nicht voll beheizt; es sollte gegen meine Systemtechnik gehen, es hat sie aber ergänzt. Ich habe nicht nur damals gelacht, ich war für Tage erholt. Hoffentlich hast du sie nun wieder voll beheizt. Was immer ich sage, und wäre etwas Neues neu bezeichnet, es ist schon im Aussprechen Zitat. Ein ganz tatsächlicher Vorfall vor nicht vielen Jahren in Wendisch Burg, bei mir wird er trocken, mag sein witzig, aber Anekdote. Du erzählst Marie von einem, der hieß Schietmul »und der andere hieß Peter«, und sie sieht da eine Katze und noch eine Katze, weil sie bei dir im Leben geblieben sind, und bei mir Worte geworden. All dies sind Sachen, die kann ich nicht erklären. Sie sind von der Art, daß ich sie gar nicht auseinandernehmen möchte; könnte ich nur in der Nähe davon sein.
    Du hast nicht aufgegeben. Es versteht sich, daß ich es bei mir selbst unglaublich fände. Dir gebe ich recht. Immer noch nicht hast du es satt, die Versprechungen des Sozialismus beim Wort zu nehmen, hartnäckig hältst du den imperialistischen Demokratien die edel geschriebenen Verfassungen vor, bis heute kannst du der Kirche nicht vergessen, daß die Segnung der Rekruten auf dem Kasernenhof in Gneez auch das

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