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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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gebeten, sondern auf eigene Rechnung die Vorschriften für diesen Tag in der Stadt ausposaunt, sogar mit einem zum Lautsprecherwagen umgebauten Lieferauto. Johannes Schmidt wollte dies als seinen Beitrag zur nationalen Ehre verstanden wissen. Den ganzen Dienstagnachmittag fuhr er in eigener Person die Straßen auf und ab und noch auf die Dörfer und sagte in ganz steifem Hochdeutsch durch, daß die Häuser zu beflaggen seien und das Ding um zehn Uhr steigen werde.
    Dann war der Marktplatz von Jerichow bestanden von mehr Leuten als die Stadt Einwohner hatte. In der Mitte war ein längliches Viereck ausgespart durch knallweiße Fahnenstangen, die mit Tannengewinden verbunden und umwunden waren. Eine Abordnung Polizei aus Gneez hielt die drängende Menge von dem schwachen Zaun fern, aber der alte Creutz wand sich immer wieder durch die Absperrung, um sein Kunstwerk noch einmal zu bewundern. Noch kurz vor Beginn der Feierstunde verknotete er ein gelockertes Gebinde von neuem, ganz ungeniert schimpfend auf die Lausejungen, die ihn in seinem handwerklichen Rufe hatten schädigen wollen. Er meinte die Polizisten, die sich nicht immer vorgesehen hatten, und da sie weniger ergriffen waren als er, wurde er nicht verwarnt, sondern belächelt.
    Die Truppe fuhr mit der Eisenbahn nicht bis Jerichow selbst. Jansen hatte die Bahnhofstraße als zu eng befunden für einen Auftritt mit Pracht und Donner. Die Soldaten waren schon in der Station Knesebeck, drei Kilometer vor der Stadt, ohne Umstände ausgestiegen, so daß sie ankamen wie von nirgend woher. An der Ziegelei intonierte die Kapelle den ersten Marsch, den Hohenfriedberger. Dort, in der Einmündung eines Weges, stand ein Mann um die Fünfzig, ein Kind an der Hand, und betrachtete die Neuankömmlinge in einer nicht aufgeregten, abschätzenden Art. Das Pflaster der Stadtstraße krachte und blitzte unter den beschlagenen Absätzen, und am Ende des Zuges fingen Jungen schon an, die abgesprungenen Beschläge in den Katzenkopfsteinen zu suchen. Von den Bürgersteigen her warfen Mädchen in der Uniform des B. D. M. Blumen auf die Soldaten. Papenbrocks Edith reckte den Hals ganz hoch, und manchmal versuchte sie hochzuspringen; sie war so verloren an Lachen und Juchzen, daß sie Stellmann auf das dringlichste am Arm packte. - Nein! Nein! sagte sie, und so verwackelte Stellmann zwei Aufnahmen. Hinter der Truppe klappten die Fenster zu, die Bürger kamen auf die Straße gelaufen, dem Marktplatz zu, und ließen die Häuser zurück wie ausgestorben.
    Dreißig Sekunden vor zehn Uhr waren die Blauen auf dem Marktplatz in einem Karree mit der S. A., dem N. S.-Reichskriegerbund und der Marine-S. A. angetreten. Friedrich Jansen auf der mit Fahnen umhängten Tribüne allein wußte, warum er seinen Mund öffnete wie zum Reden, zuklappte, abermals aufriß. Dann ging ihm auf, daß Pastor Brüshaver wirklich wagte, die Glocken der Petrikirche nicht läuten zu lassen. Friedrich Jansen in seiner Wut riß sich zusammen und schleuderte ein erstes Wort aus seinem Hals. Es blieb unbekannt, denn nun zogen die Katholiken an ihrem Glockenstrang. So bemüht es klang, mehr als ein Gebimmel war es nicht, und hörte gleich wieder auf, wie erschrocken. Nach wenigen Sätzen war Friedrich Jansen blind. Er sprach von dem Glück, das die Stadt über eine eigene Garnison empfinde (getragen; fest). Wie habe man in früheren Zeiten um Soldaten betteln müssen (voll Selbstmitleid; drohend)! Nun aber mache der Führer, Wünsche vorausahnend, nein wissend, sie zum Geschenk (predigend, demütig). Als Jansen aus der Rede des Nationalpreisträgers Heinkel in Rostock zitierte, vertat er sich in seinem heiligen Schreck und gab als gegenwärtig mögliche Höchstgeschwindigkeit für Flugzeuge 900 Kilometer in der Stunde an. Heinkel hatte von 700 gesprochen. - Unt wenn nu noch ein ehrlose Feint die Waffe gegn das doitsche Vock ehebn will (mitleidig). - Denn veziehn wie keine Miene (Grand Hotel). - Gaa nich um ignoriern (Akademiker, mitten im einfachen Leben). - Denn sagn wie einfach -: Kusch (basedowkranker Hundehalter). - Kusch -! rief er. Wenn er das Wort Luftwaffe im Munde hatte, quoll ihm unerschöpflicher Speichel auf, und er hätte nicht angeben können, was er da aussprach. Während Georg Swantenius aus Gneez im Namen der Ortsgruppe und der Kreisleitung dem Führer für den stolzen Tag dankte, etwas sauersüß von Neid, war Jansen immer noch rot im Gesicht und atmete schwer. Von den Fotografien, die Jansen in diesem

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