Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
ihr die Hand gibt; aber sie gerät immer wieder an taube Schultern, blinde Blicke, sie verzieht sich in eine der mit edlem Holz ausgeschlagenen Telefonzellen und wählt die Ziffern, die auf der Scheibe den Buchstaben NERVOUS entsprechen. – Es ist zehn Uhr und sieben Minuten: sagt eine Stimme im Telefon. Die Aufgabe für die Cresspahl ist aber gewesen, sich selbst hier vorzustellen als Vertreterin der Bank. Nicht in Wahrheit, beileibe, dafür ist ein männlicher Direktor abgeordnet; nur daß sie insgeheim denken sollte: sie sei hier die Gastgeberin.
Für eine Firma, die Informationen kauft und bearbeitet und verpackt und weiterverkauft, ist der Konferenzsaal recht klein. Das Präsidium will auskommen mit fünf Plätzen, links brauchen sie nur zwei Mikrofone auf dem Pult, rechts der Tisch des Sekretariats würde schweren Umsatz schlecht vertragen, der Rest des Raums ist vollgestellt mit gewöhnlichen Klappstühlen aus Blech, nicht vielen. Offenbar ist dies eine sparsame Firma. Mit den Papieren der Firma zieht die Cresspahl sich zurück auf einen Platz an der Hinterwand, das gibt ihr eben das Professionelle, dem sie entkommen wollte, und achtungsvoll bückt sich vor ihr ein Kellner mit einem Tablett voll Kaffeetassen. Vom Flur her hört sie den Generaldirektor reden, behaglich, ausruhend auf den Nebentönen: Kannst du denn das aushalten, daß dir immerzu Blut abgenommen wird, die wissen ja nicht was sie tun. (Hier haben wir einen Manager, der versteckt seine Krankheit nicht, der benutzt sie.) – Fragen werde ich keines Falles zulassen: sagt er, und vielleicht ist dies ein wiederkehrender Witz, so wird die Ankündigung belacht. Dann aber zieht der Vorstand ein in den Saal, voran der amtierende Chef, und wahrhaftig blickt er auf die einzelne Person an der Wand, als habe sie ihn hereingezogen mit ihrem Pflichtbewußtsein. Er ist nahe am Nicken, und wieder ist die Cresspahl aufgefallen. Dann kann sie aber nicht mehr nach draußen, ist eingesperrt zwischen einer hartlippig entschlossenen Matrone und Vorhängen aus schwerem Blumenmusterstoff mit Stores, die den Ausblick auf noch nicht erledigte Hinterhöfe vergessen machen sollen.
Auf der Tagungsordnung stehen: Die Erhöhung des Aktienbestands von dreieinhalb Millionen auf fünf, zwecks Erwerbung neuer Firmen. Die Bestellung einer Buchprüferfirma. Die Wahl der Direktoren für das neue Geschäftsjahr. Die Cresspahl prägt sich das formelhafte Sprechen ein, vielleicht wird sie es lernen, und womöglich wird sie anfangs die feierlich legalistischen Wiederholungen mit mehr Genuß zelebrieren als die Herren am Vorstandstisch. Der Herr Generaldirektor hat seinen Geschäftsbericht nun abgeliefert, wie eine Erzählung bis zum Überdruß vertrauter Familiensachen, jetzt wünscht er Fragen. Er besteht auf den Erkundigungen, die er nicht zulassen wollte, bis ein Mann in der Uniform der Bank ein Handmikrofon an langer Schnur zu einem Fragesteller trägt. Es ist der Aufgeregte von vorhin, der seinen Auftritt so innig geprobt hat, und nun verhaspelt er ihn. Stockend, mit weit aufgerissenen Augen, dann wieder mit einander überschlagenden Worten beginnt er eine Anklage wegen mangelhafter Ausnutzung eines Steuergesetzes, er hat sie entdeckt und möchte darauf pochen, mit einer Miene, die um Schonung bittet, und der Vorsitzende des Sekretariats fährt ihm über den Mund mit einer Geduld, als fertige er ein Kind ab, dem kann man es nicht übel nehmen. Der Fragesteller wird verwiesen auf den Absatz des Paragraphen, den er gerade angezweifelt hat, man gibt ihm auch Adresse und Telefonnummer von Allen, Burns, Elman & Carpenter, das Mikrofon ist ihm längst weggenommen. Jetzt reckt sich der Unglückliche, und die Cresspahl könnte ihm sagen, daß das Sekretariat das Tonband mit seinem kostbaren Protest zurücklaufen läßt und ihn löscht. Wir kommen zur Wahl.
Die kleinen schwarzen Männer des Sekretariats winden sich geschäftig zwischen den Stuhlreihen umher und verteilen Formulare, auch an den erschöpften Fragesteller, der die Versammlung hatte schrecken wollen, im Namen der Gerechtigkeit und Ehre, jetzt ist er schon dankbar für die Erlaubnis, seinen Namen zu schreiben. Die Cresspahl hat eine fremde Miene versucht, eben kurz vor dem Kopfschütteln, und doch wiederholt der Funktionär seine Frage: Sind Sie Aktionärin? Ihr Name?
– Nein: sagt die Angestellte. – Ich bin hier für die Bank! Damit hat sie sich aber eine mütterliche, bedenkliche Betrachtung von seiten der Matrone
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