Jan Fabel 05 - Walküre
selbst die Befehlshierarchie innerhalb des Ministeriums für Staatssicherheit im Dunkeln zu lassen. Außerdem habe ich Ihnen doch ein bisschen mehr ä conto geliefert. Einfach um zu beweisen, dass ich tatsächlich über die nötigen Informationen verfüge. Werfen Sie einen Blick unter Ihr Kissen.«
Sylvie schob die Hand unter dem Kissen entlang, bis sie ein Objekt berührte. Es war ein großer brauner Umschlag.
»Wie haben Sie ... ?«
»Na, na, Sylvie«, wurde sie von der heiseren Stimme unterbrochen. »Seien Sie nicht so naiv. Wir sind dazu ausgebildet worden, unentdeckt in private Bereiche vorzudringen. Sie hören von mir.«
Die Leitung war tot. Sylvie versuchte, die Nummer des Anrufers nachzuprüfen, doch die Clip-Funktion war gesperrt.
Sie öffnete den Umschlag. Er enthielt eine Zeitschrift und vier Blatt Schreibpapier. Die Zeitschrift trug den Titel Muliebritas und schien eine feministische Publikation zu sein. Sie blätterte die Seiten rasch durch, um herauszufinden, ob etwas hineingestopft war oder ob Siegfried etwas gekennzeichnet hatte. Nichts. Sie würde den Inhalt später genauer durchsehen. Vorläufig war für sie nur von Interesse, dass Muliebritas von Bransted Publishing, einem Unternehmen der NeuHansa Group, verlegt wurde.
Sylvie wandte ihre Aufmerksamkeit den vier Papierblättern zu. Drei von ihnen zeigten je eines der Bilder, die Siegfried ihr per E-Mail geschickt hatte. Allerdings stand diesmal ein Name unter jedem der Gesichter. Margarethe Paulus, Liane Kayser, Anke Wollner. Das vierte Blatt enthielt erneut den Namen Georg Drescher, doch diesmal wurde er durch ein Bild ergänzt: das eines Mannes von vierzig bis fünfundvierzig Jahren. Er hatte ein kräftiges, attraktives Gesicht mit tiefen Furchen auf den Wangen und Fältchen um die Augen, als sei er es gewohnt zu lächeln. Seine freundliche Miene schien im Widerspruch zu den Uniformaufschlägen zu stehen, die ihn als Offizier des MfS auswiesen. Im Unterschied zu den anderen Fotos war es schwarzweiß, weshalb sich schwer feststeilen ließ, ob seine Haare blond oder angegraut waren. Da seit zwanzig Jahren niemand mehr eine Stasi-Uniform getragen hatte, versuchte Sylvie, ihn vor ihrem geistigen Auge altern zu lassen.
Erneut betrachtete sie die Bilder der jungen Frauen. Alle waren hübsch, doch sie schauten ausdrucks- und emotionslos in die Kamera. Wieder fiel Sylvies Blick auf das Mädchen mit den schrecklich leeren Augen.
Liane Kayser. Sie hieß Liane Kayser.
11.
Ute Cranz schleppte Drescher noch weiter in die Küche. Er sah, wie sie mit einem Skalpell in der Hand über ihm verharrte. Ihm war übel, und plötzlich dachte er, welch eine Erleichterung es wäre, sich erbrechen zu können. Doch das Muskelrelaxans musste seinen Würgreflex ausgeschaltet haben, und er würde an seinem eigenen Erbrochenen ersticken. Ohne zu husten. Ohne Widerstand. Jedenfalls wäre es besser als das, was Ute Cranz mit ihm zu tun beabsichtigte. Sie zerrte an seiner Kleidung, und das Skalpell sauste nach unten. Er spürte jedoch keinen Schmerz, denn sie durchschnitt seine Kleidung und riss ihm die Überreste vom Körper. Er war nun nackt und fror, wahrscheinlich eher infolge von Furcht als wegen der niedrigen Wohnungstemperatur.
Sie hob das Plastiklaken und legte ihm etwas unter Kopf und Schultern, sodass er halb aufsaß. Dann schob sie ein Tablett über seine Beine und stellte einen großen Laptop darauf. Der Bildschirm nahm sein Blickfeld fast völlig ein. Sie drückte auf eine Taste, und ein Foto mit grellen Farben erschien. Überall Blut. Der Körper einer Frau, Kopf und Gesicht der Sicht entzogen, lag nackt eingeklemmt zwischen einem von Blut durchweichten Bett und einer von Blutstreifen überzogenen Wand.
»So etwas wird Frauen von Männern angetan. Siehst du das?« Erneut drückte Ute auf die Taste. Eine andere Szene: Diesmal lag eine tote Frau, mit einer Schnur um den Hals, halb bekleidet, zwischen ein paar Büschen. »Siehst du das?« Ein weiteres Tatortfoto. »Siehst du das?«
Sie klickte auf einen Befehl, und eine Szene ging automatisch in die andere über. Grauenerregende Bilder von Mord und Vergewaltigung. Brutale pornografische Fotos von Frauen, die missbraucht wurden. Weibliche Gesichter, vor Furcht verzerrt.
»Das wird Frauen von Männern angetan. Schon immer. Von Männern wie dir.« Ute ließ die Bilder noch ein paar Sekunden weiterlaufen, bevor sie den Deckel zuklappte. Dann hob sie den Computer
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