Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
Vom Netzwerk:
meiner Sinne war gekommen wie das Erdbeben, welches die Grundfesten von Paulus’ Gefängnis erschütterte; sie hatte die Tore der Zelle meiner Seele geöffnet und ihre Ketten gelöst, sie hatte sie aus ihrem Schlaf geweckt, aus welchem sie zitternd, lauschend, voll Entsetzen aufgefahren war. Dann schlug dreimal ein Schrei an mein ängstliches Ohr; ich hatte ihn in meinem bebenden Herzen vernommen, in meiner erregten Seele, die weder fürchtete noch zagte, sondern voll Freude jauchzte über den Erfolgdieser einzigen Anstrengung, die sie unabhängig von der Last des Fleisches hatte machen dürfen.
    ›In ein paar Tagen‹, sagte ich, als ich mit meinem Nachsinnen zu Ende war, ›werde ich mehr wissen von dem, dessen Stimme mich gestern Abend zu rufen schien. Briefe haben sich als unwirksam erwiesen – jetzt soll persönliche Nachfrage an ihre Stelle treten.‹
    Beim Frühstück verkündete ich Diana und Mary, dass ich eine Reise antreten und wenigstens vier Tage abwesend sein würde.
    »Allein, Jane?«, fragten sie.
    »Ja, es ist, um Auskunft über eine Person zu bekommen, über welche ich seit längerer Zeit in Unruhe schwebe.«
    Sie hätten mir nun erwidern können, was sie ohne Zweifel dachten, dass sie nämlich geglaubt hätten, ich habe außer ihnen keine Freunde, denn dies hatte ich ihnen ja oft genug versichert. Aber in ihrem echten, natürlichen Zartgefühl enthielten sie sich jeder Bemerkung; nur Diana fragte mich, ob ich mich denn auch wohl genug fühle, um reisen zu können. Ich sähe seit einiger Zeit so leidend und blass aus. Ich entgegnete ihr, dass ich nicht krank sei, dass nur eine bestimmte Seelenangst über mich gekommen wäre, welche ich aber bald zu verscheuchen hoffte.
    Es war leicht, meine weiteren Vorbereitungen zu treffen, denn ich wurde weder mit Fragen noch mit Vermutungen gequält. Nachdem ich ihnen einmal gesagt hatte, dass ich meine Pläne für den Augenblick nicht näher erklären könne, fanden sie sich ruhig und gütig in das Schweigen, mit welchem ich sie zur Ausführung brachte. Sie gewährten mir das Privileg der Handlungsfreiheit, das ich unter den gleichen Umständen auch ihnen gewährt haben würde.
    Es war drei Uhr nachmittags, als ich Moor House verließ, und bald nach vier stand ich am Fuße des Wegweisers von Whitcross, die Ankunft der Postkutsche erwartend, die mich nach dem fernen Thornfield bringen sollte. Bei der Stille aufjenen leeren Straßen und einsamen Hügeln hörte ich schon aus weiter Entfernung das Rollen der Räder. Es war derselbe Wagen, dem ich auf derselben Stelle an einem Sommerabend entstiegen war – hoffnungslos, einsam und lebensmüde. Er hielt an, als ich ihm ein Zeichen gab. Ich stieg ein, ohne wie damals gezwungen zu sein, für die Bequemlichkeit dieses Reisemittels mein ganzes Vermögen hinzugeben. Als ich mich wieder auf dem Weg nach Thornfield befand, war mir zumute wie der heimkehrenden Brieftaube.
    Es war eine Reise von sechsunddreißig Stunden. An einem Dienstagnachmittag war ich von Whitcross abgefahren, und es war früh am Morgen des folgenden Donnerstags, als die Postkutsche anhielt, um die Pferde vor einem Wirtshaus an der Landstraße zu tränken. Diese Schenke lag inmitten einer Landschaft, deren grüne Hecken, weite Felder und niedrige, bewaldete Hügel meinem Auge begegneten wie die Züge eines einstmals geliebten Angesichts. Wie mild waren diese Züge doch, wie sanft diese Farben im Vergleich mit der herben, kargen Moorlandschaft von Morton in den nördlichen Midlands! Ja, diese Landschaft kannte ich; jetzt musste ich dem Ziel meiner Reise nahe sein!
    »Wie weit ist Thornfield noch von hier?«, fragte ich den Hausknecht.
    »Gerade noch zwei Meilen, Madam, wenn Sie den Weg über die Felder nehmen wollen.«
    ›Meine Reise ist nun zu Ende‹, dachte ich bei mir. Ich stieg aus dem Postwagen, übertrug die Sorge für mein Gepäck dem Hausknecht, dass er es aufbewahre, bis es abgeholt würde, bezahlte den Fahrpreis, gab dem Postillion ein Trinkgeld und ging. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne fielen auf das Schild des Wirtshauses, und ich las in vergoldeten Buchstaben die Inschrift: »The Rochester Arms«. Ich war also schon auf dem Grund und Boden meines Herrn! Mein Herz pochte heftig; dann stand es plötzlich wieder still, denn nun kam mir der Gedanke:
    ›Dein Herr und Gebieter mag sich ebenso gut jenseits des Kanals aufhalten, was weißt du schon? Und selbst wenn er auf Thornfield Hall sein sollte, dem du entgegeneilst – wer ist

Weitere Kostenlose Bücher