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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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mit ein paar minderwertigen krummen Brettern verkleidet, zwischen deren Ritzen sich gut etwas verstecken lässt. Das Möbelstück ist sehr schwer, doch meine Wut verleiht mir ungeahnte Kräfte.
    Als die Kommode auf einer Seite schon rund zwanzig Zentimeter von der Wand entfernt ist, sehe ich plötzlich, wie ein Blatt Papier zu Boden segelt. Ich werfe einen flüchtigen Blick darauf. Er ist datiert auf den 18.Mai 1885. Meine geliebte Schwester, entziffere ich mit Müh und Not. Die Schrift ist klein, kantig und unordentlich. Der Bogen ist zu etwa drei Vierteln beschrieben, dann endet er abrupt, sodass ich natürlich auch nicht erkennen kann, wer ihn geschrieben hat. Doch meine Neugier ist geweckt, und ich stecke ihn in meine Reisetasche, zusammen mit dem Brief von Gustavo.
    Nachdem ich das Geld versteckt und die Kommode wieder an die Wand herangeschoben habe, schleiche ich mich durch den Hinterausgang ins Freie. Es gelingt mir, ungesehen zu den Ställen zu gelangen. Liberdade steht in ihrer Box und schaut mich aus ihren gutmütigen braunen Augen an, als sei ich eine liebe alte Freundin. Ich streichele ihr Gesicht und raune ihr zärtliche Worte in einer Sprache zu, die nur Babys und Tiere verstehen. Da kein Stallknecht in Sicht ist und ich zum Satteln keine Zeit habe, führe ich das Pferd zu einem Podest, das genau für diesen Zweck gedacht ist, und steige auf. Ich traue es mir zu, dieses brave Tier auch ohne Sattel und Zaumzeug zu reiten, nur an seine Mähne geklammert und die Beine fest um seinen Leib geschlungen.
    Die Stute schnaubt leise, als wir den Stall verlassen. Doch niemand hört oder sieht uns. Ganz langsam und still verlassen wir das Gelände über die große, elegante Auffahrt mit den schönen Königspalmen. Es ist, als wüsste das Pferd, was es zu tun hat. Ich sterbe tausend Tode, als wir eine Kurve passieren, die man vom Hof aus einsehen kann. Doch die Aufmerksamkeit sämtlicher Bewohner von Bela Vista ist von einem anderen, grausigen Spektakel gefesselt.
    Als wir das Grundstück verlassen haben, fällt Liberdade wie von selbst in einen leichten Galopp. Ich fühle mich direkt auf ihrem Rücken viel wohler als in einem Damensattel, der einen zu einer unnatürlichen Haltung zwingt, in der man nicht entspannt reiten kann. Breitbeinig wie ein Mann, der Saum des Kleides durch diese Position bis zu den Knien hinaufgerutscht, habe ich ein herrliches, wildes Gefühl von Freiheit. Wir beschleunigen noch ein bisschen, sodass ich den toten Mangobaum in kurzer Zeit erreiche. Hier führe ich Liberdade so nah an den Stamm heran, dass ich von ihrem Rücken aus den Hohlraum erreiche– wenn ich absteige, komme ich sonst nachher ohne Steigbügel nicht mehr hinauf. Ich lege die Kopie des Schlüssels für den Sekretär hinein. Wer weiß, wozu er noch gut ist.
    Als die ersten Häuser von Barra do Piraí auftauchen, steige ich ab. Ich muss nicht unnötig die Aufmerksamkeit auf mich lenken, weil ich in unschicklicher Weise auf dem Pferd sitze. Ich halte Ausschau nach einem Hof, wo ich Liberdade zurücklassen kann. Ich tue dies nur schweren Herzens, aber ich kann sie ja schlecht in der Eisenbahn mit nach Rio nehmen. Vor einem Bauernhaus, das zwar klein, aber ordentlich wirkt, grasen zwei Ackergäule. Das ist wahrscheinlich meine beste Chance, das Tier loszuwerden. Der Bauer dürfte sie hier schnell finden und hoffentlich gut behandeln, bis sich ihr widerlicher Besitzer meldet. Ich reiße eine Bahn Stoff aus meinem Unterrock und binde die Stute damit an dem Zaun fest. Zum Abschied flüstere ich ihr tröstende Worte zu, dann laufe ich mit meinem Reisebeutel über der Schulter zum Bahnhof.
    Das Glück ist mir ausnahmsweise hold. Keine fünf Minuten, nachdem ich eine Karte gekauft und zum Bahnsteig gegangen bin, fährt der Zug nach Rio ein.
    Auf zum Januarfluss! Ein Déjà-vu setzt sich in meinem Kopf fest. Doch meine erste Zugfahrt nach Rio hat erstens von einer anderen Stadt aus stattgefunden und war außerdem von einer völlig anderen Grundhaltung geprägt. Damals war ich voller Optimismus, dass nichts mich aufhalten könne, und ich war überzeugt davon, dass mir nur Gutes widerfahren würde.
    Damals? Ich rechne zurück und stelle fest, dass diese erste Fahrt gerade einmal drei Wochen zurückliegt. Es könnten auch drei Jahre sein oder drei Jahrhunderte: Nichts ist mehr, wie es war. Am wenigsten ich

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