Je sueßer das Leben
lachen können.
Sie erinnert sich, dass ihr plötzlich Leute aus dem Weg gingen, die sie bislang für Freunde gehalten hatte. In der Bank wurde sie mit verkniffenem Mund angelächelt, ihre Nachbarn nickten ihr nur noch knapp zu, wenn sie morgens ihre Zeitung hereinholte. Kannten diese Leute sie nach all den Jahren nicht gut genug, um Bens Lügen zu durchschauen? Offenbar nicht.
»Mir fiel nur eine Lösung ein. Ich überschrieb das Haus einer Stiftung, damit Ben es nicht erwerben konnte. Alles andere verkaufte ich, weil ich mich nicht mit mehr als dem absolut Notwendigen belasten wollte. Den Erlös spendete ich, und dann verließ ich die Stadt und ging nach Kalifornien, das mich schon immer gelockt hatte.«
»Warum wollte Ben denn überhaupt das Haus?«, fragt Hannah verwundert.
Madeline betupft ihre Augen. »Weil er um seinen Vater trauerte, so wie ich um meinen Ehemann trauerte, Hannah. Er hat viel zu früh seine beiden Eltern verloren, und das Einzige, was ihm blieb, war das Haus, in dem er aufgewachsen war. Es hatte im Grunde nichts mit mir zu tun, das ist mir inzwischen klar. Aber ich glaube auch, dass er alles tat, von dem er wusste, dass es mich gegen ihn aufbringen würde, weil er wissen wollte, wie ich reagiere.«
»Was meinst du damit?«, fragt Julia.
»Er wollte wissen, ob ich ihn dem Haus und der Schuhfabrik vorziehen würde. Das tat ich offensichtlich nicht, auch wenn ich inzwischen wünschte, ich hätte es getan. Jetzt habe ich nichts mehr – kein Haus, keine Fabrik, keinen Ben. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich mich anders entscheiden. Würde ich anders handeln.« Diese letzten Worte bleiben in der Luft schweben.
»Bist du deswegen zurückgekehrt?«, fragt Hannah. »Um dich mit ihm zu versöhnen?«
Madeline lächelt und nickt. »Ich wollte ihm auf jeden Fall näher sein – die Westküste kam mir so weit weg vor, fast eine andere Welt. Chicago war lange mein Zuhause gewesen – wie auch das von Ben –, und ich wiegte mich in dem naiven Glauben, dass wir hier irgendwie wieder zueinanderfinden würden.
Inzwischen kann er natürlich überall sein. Die letzte Adresse, die ich von ihm habe, ist die hier in Pennsylvania.« Madeline tippt auf den Umschlag. Sie hatte seinen Namen bei Google eingegeben, und das Ergebnis hatte sie restlos entmutigt – mehr als zwei Millionen Treffer für Benjamin Malcolm Dunn, bei jeder möglichen Kombination des Namens. Anfangs hatte Madeline die einzelnen Treffer angeklickt, es dann aber irgendwann aufgegeben. Zu guter Letzt beschloss sie, es mit seiner letzten bekannten Adresse zu probieren, die sie sich bei ihrem Anwalt besorgt hatte. Selbst wenn Ben nicht mehr dort wohnte, fand der Brief vielleicht doch seinen Weg zu ihm. »Aber ich bin mir inzwischen nicht mehr so sicher, ob ich ihn wirklich abschicken soll. Vielleicht werden dadurch ja nur alte Wunden aufgerissen.« Sie seufzt schwer. »Ich habe drei Monate gebraucht, bis der Brief fertig war. Wahrscheinlich werde ich genauso lange brauchen, um ihn abzuschicken.«
»Wenn du willst, kann ich ihn zur Post bringen«, bietet Hannah ihr freundlich an.
Madeline schüttelt den Kopf und greift rasch nach dem Umschlag, so als habe sie Angst, Hannah könnte ihn gleich einstecken. »Nein, nein, das mach ich schon.« Sie legt den Umschlag in ihren Schoß und deckt eine Serviette darüber. Dann holt sie tief Luft. »Ich werde es tun, sobald ich so weit bin.«
Bernice Privott, 58
Bibliothekarin in der Stadtbücherei
»Nein, tut mir leid, das geht nicht.«
Bernice Privott hat sich hinter der Fliegengittertür verschanzt, die Arme über der Brust verschränkt, und hat einen entschuldigenden, aber unnachgiebigen Ausdruck auf dem Gesicht. Sie spülte gerade ihr Frühstücksgeschirr, als sie sah, wie Helen Welch mit mehreren Beuteln des mittlerweile allzu vertrauten hellen Teigs aus der Haustür trat. Rasch trocknete sich Bernice die Hände, eilte zu der Fliegengittertür und schob den Riegel vor, während sie Helen dabei beobachtete, wie sie auf ihr Haus zumarschierte.
Helen lächelt sie gewinnend an. »Ich würde dich ja nicht damit belästigen, wenn es kein Notfall wäre, Bernice.« Sie wiegt die Beutel in ihren Armen.
Bernice schüttelt den Kopf, dieses Mal lässt sie sich nicht überreden. »Helen, ich habe jetzt drei Zyklen mitgemacht. Ich habe einen eigenen Beutel und noch keine Ahnung, was ich damit anstellen soll.«
Helen schnalzt mitfühlend mit der Zunge und tritt noch einen Schritt heran.
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