Jenseits Der Schatten
zerknüllte Taschentücher. »Götter, was haben sie dir angetan?«
Er betrachtete die schlafende Gestalt auf dem anderen Bett und schlurfte zu ihr hinüber. »Uly«, sagte er. »Gott, sie wird langsam groß. Uly?«
»Sie kann uns nicht hören«, sagte Vi. »Wir sind nicht wirklich hier. Komm, setz dich.«
Kylar nahm mit einiger Mühe Platz. Er lächelte matt. »Uly ist deine Mitbewohnerin?«
Vi nickte. »Dreizehn Jahre alt, und sie ist in allem besser als ich.«
»Richte ihr aus, dass es mir leidtut. Ich habe sie im Stich gelassen wie alle anderen auch. Ich habe einen lausigen Vater abgegeben.«
»Still. Leg dich hin.«
»Dann kommt Blut … an die Laken«, erwiderte er, aber er widersetzte sich nicht. Er bettete den Kopf auf ihren Schoß und schloss die Augen.
»Kylar, ich denke, ich kann dir helfen«, sagte Vi, während sie ihm das Haar zurückstrich. »Aber du musst mir erzählen, was geschehen ist. Wer hat dir das angetan?«
Ihre Finger waren warm und sanft. Es kostete Anstrengung zu sprechen. »Sie tun es noch immer«, antwortete er.
»Noch immer?«
»Ich werde wegen der Ermordung von Königin Graesin hingerichtet. Logan ist König. Ich habe das getan, Elene. Das ist mein Leben wert, nicht wahr?«
»Elene ist nicht hier, Kylar. Ich bin es, Vi.«
Kylar zuckte zusammen, als ein Krampf durch seine Rückenmuskulatur lief. Er atmete in schnellen, kurzen Stößen.
Vi legte beide Hände auf seinen Körper, und die Krämpfe verebbten. Er hörte sie auf keuchen, dann flutete Wärme durch seinen Körper und eine gesegnete Abwesenheit von Schmerz.
Es folgte ein langes Schweigen, und Kylar begann wegzudämmern. Schließlich fragte Vi: »Aber du wirst zurückkommen, richtig? Nachdem du gestorben bist?«
»Es hat nie jemand erklärt. Lebe jedes Leben als sei es dein letztes, hm?« Er lachte leise. Er konnte nicht anders. Er fühlte am
ganzen Körper ein warmes Prickeln. Als er die Augen öffnete, um zu Vi aufzublicken, lächelte sie nicht. Ihr Gesicht war starr vor Konzentration und Schmerz.
»Schlaf«, sagte sie. »Ich werde dir helfen, so gut ich kann.«
56
Logan stand vor Morgengrauen auf. Er hatte nicht geschlafen. Seine Wachen, die seine Stimmung gespürt hatten, hatten ebenfalls nicht geschlafen, aber wenn sie sich genauso elend fühlten wie er, verbargen sie es gut. »Ich werde zu Kylar gehen«, sagte er zu Kaldrosa. Sie nickte, da sie es erwartet hatte. Eins der Dinge, die Logan an der Königswürde zu hassen begann, war die Tatsache, dass er nirgendwo ohne Gefolge hingehen konnte. Angesichts des Umstandes, dass die beiden letzten cenarischen Monarchen - oder die letzten sechs, wenn er Herzogin Kirena Glauben schenken durfte - ermordet worden waren, war es vernünftig. Trotzdem, obwohl Logan es hasste, auf Schritt und Tritt zwölf Leute hinter sich herzuschleppen, war es nicht ihre Schuld, und es war unter seiner Würde, ihnen das Leben noch schwerer zu machen. Also musste er einfach mehr Rücksicht walten lassen.
Heißes Wasser für sein Bad wurde so prompt gebracht, dass Logan wusste, dass Kaldrosa der Küche schon vor Stunden gesagt haben musste, dass der König sein Bad sehr früh benötigen würde. Es war eine schlichte Tat, aber vielsagend. Viele Edelleute ignorierten ihre Diener, so wie sie den Boden unter ihren Füßen ignorierten. Logans Vater hatte ihn darauf hingewiesen, dass ein Edelmann mehr Umgang mit seinen Dienern habe als selbst mit
seiner eigenen Familie. Es zahlte sich aus, sie gut zu behandeln, aber es war dennoch selten, dass eine Dienerin in solchem Maße die Bedürfnisse ihres Herrn voraussah.
Logan entkleidete sich und badete. Während er sich abschrubbte, dachte er darüber nach, dass seine Gemächer ebenso viel Elend gesehen haben mochten wie das Loch, das tief unter ihnen lag. Logan hatte die Statuen - versteckt im Lagerraum der Burg - der Frauen des Gottkönigs gesehen. Sie alle waren junge cenarische Edelfrauen gewesen, und Logan hatte jede von ihnen gekannt. Sie waren grausam missbraucht, gebrochen, ermordet und zur Schau gestellt worden. Eine seiner ersten Taten als König hatte darin bestanden, diese Mädchen für ihre Beerdigung ihren Familien zurückzugeben. Einige von ihnen hatten keine Familie mehr gehabt, zu der sie zurückkehren konnten, daher hatte Logan sich selbst um diese Begräbnisse gekümmert. Er wünschte, er hätte den toten Gottkönig eigenhändig noch einmal töten können, und das Rad wäre noch zu gut gewesen für Trudana Jadwin, die alle
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