Jenseits Der Schatten
verstärkt, aber von diesem Raum aus hatte man einen Blick auf den Innenhof von Kastell Weißenfels. Der Innenhof war für eine Hochzeit dekoriert, Grünpflanzen in der Farbe von Reben und dem Meer, und überall leuchteten die Purpurtöne von Wein.
»Ich weiß nicht, wer Ihr seid, Hochstapler«, sagte eine von Solons Wachen. Er war ein Mann mit Bierbauch und Doppelkinn und trug eine ungleichmäßig polierte Rüstung. »Aber genießt die Hochzeit, denn es ist das Letzte, was Ihr jemals sehen werdet.«
»Warum?«, fragte Solon.
»Weil der Mikaidon will, dass sein erster Befehl als Kaiser darin besteht, Euren Tod anzuordnen.«
Der andere Wachposten, ein stockdürrer Mann mit nur einer Augenbraue, wirkte nervös und schuldbewusst. »Halt den Mund, Ori. Bei Nysos’ Blut, der Tag wird ohnehin schon schlimm genug werden.« An Solon gewandt fügte er hinzu: »Wir werden schnell machen, das verspreche ich.« Er verließ den Raum, wobei er darauf achtete, ob Solon irgendwelche plötzlichen Bewegungen machte, und schloss die Tür hinter sich ab.
Solon war überrascht, einen Zuber voll Wasser und frische Kleider im Raum vorzufinden. Er wusch sich, und während er
die sauberen Gewänder anlegte, dachte er nach. Oshobi erteilte Kaedes Wachen bereits Befehle. Das konnte nicht gut sein, aber es bedeutete nicht zwangsläufig das, was Solon argwöhnte. Solon hatte nicht erfahren, wie viel Macht Kaede nach ihrer Eheschließung mit ihrem Gemahl zu teilen beabsichtigte. Als sie vor zwei Tagen mit ihm gesprochen hatte, hatte sie nicht verzweifelt genug gewirkt, um Oshobi die absolute Macht zu gewähren.
Bei dem Gedanken wurde ihm übel. Während der beiden letzten Tage hatte er über jede Möglichkeit nachgedacht, die er hatte, und er konnte nichts finden, was seine eigenen Rechte sicherstellte, ohne die von Kaede zu unterminieren. Er wusste nichts von irgendwelchen politischen Unterströmungen, daher konnte alles, was er tat, genau das Gegenteil von dem bewirken, was er wünschte. Aber die für ihn bereitgelegten Kleider, Gewänder, die für einen Edelmann taugten, wenn auch nicht ganz für einen Mann von königlichem Geblüt, verrieten ihm, dass Kaede höchstwahrscheinlich nicht die Absicht hatte, ihn heute sterben zu lassen. War dies seine Chance? Oder bestrafte sie ihn, indem sie ihn zwang, einer Hochzeit zuzuschauen, die in ihren Augen seine Schuld war?
Draußen versammelten sich die Edelleute ihrem Rang entsprechend und standen da, wie Sethi immer dastanden, um eine Hochzeit zu bezeugen. Schon bald umringten mindestens vierhundert von ihnen das Podest, auf dem die Kaiserin und der zukünftige Kaiser vermählt werden würden. Solon konnte viele Gesichter ausmachen, die er erkannte, und er bemerkte außerdem, dass erschreckend viele Personen abwesend waren. Hatte sein Bruder so viele getötet? Wie war Sijuron zu einem solchen Ungeheuer geworden, ohne dass Solon etwas davon gewusst hatte?
Der Ring der singenden Schwerter verkündete den Beginn der Zeremonie. Auf dem Podest standen die Tänzer einander gegenüber.
Jeder trug eine Maske, der Mann die Maske des Verehrers, die heute todernst war. Ein heranwachsender Knabe trug die Maske der Frau, heute liebreizend, aber streng in Übereinstimmung mit der Würde der Kaiserin. Jeder der beiden hielt ein besonders geformtes, hohles Schwert, das während des Tanzes singen würde, Töne, die durch den Griff der Tänzer geändert werden konnten und dadurch, wo die sich kreuzenden Klingen aufeinandertrafen. Und begabte Tänzer waren der teuerste Teil einer Heirat. Die Tänze, angeblich dem Nysos heilig, reichten von erotisch bis komödiantisch. Es war außerdem für gewöhnlich die furchterregendste Zeit einer Hochzeit für das künftige Ehepaar. Bei den Tänzern - die gleichzeitig Schauspieler waren - gab es keine Garantie, dass sie nicht den Mann oder die Frau oder beide als Narren dastehen lassen würden, und der Schwerttanz war häufig das Einzige, was den Beteiligten an einer Hochzeit im Gedächtnis blieb.
Die Tänzer verneigten sich tief, hielten den Blick jedoch erhoben, als seien sie einander gegenüber argwöhnisch, und dann begannen sie. Während sie tanzten, vergaß Solon für eine Weile, dass er sich in einem Gefängnis befand. Sie gaben dem Jungen eine schnelle Hand für Kaedes schnelle Zunge und eine große Reichweite. Eine Frau, die als zänkisch galt, bekam vielleicht für einen ganzen Tanz einen einzigen Ton, während man einem leicht erregbaren Mann vielleicht nur die
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