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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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die Fakten so einsichtig wie möglich präsentierte. Keine stilistischen Klimmzüge, kein hochtrabendes Vokabular. Sein diesbezügliches geistiges Vorbild war überhaupt kein Journalist, sondern Jonathan Swift, der Verfasser von Gullivers Reisen, ein Mann, dem so viel daran lag, seine Satire deutlich zu vermitteln, daß er seine Werke mehrfach der Dienerschaft vorlas und sich so
    vergewisserte, ob der Stil nicht die Aussage verdeckte. Diese Geschichte betrachtete Grillo als Eckstein. Und das war auch alles schön und gut, wenn man über die Obdachlosen in Los Angeles berichtete oder über ein Drogenproblem. Da sprachen die Fakten meist für sich allein.
    Aber diese Geschichte - von der Höhle bis zu Fletchers Feuertod - bot ein verzwickteres Problem. Wie konnte er berichten, was er letzte Nacht gesehen hatte, ohne gleichzeitig zu berichten, was er empfunden hatte?
    Er hielt sich bei seinem Gespräch mit Abernethy bedeckt.
    Freilich wäre es sinnlos gewesen, so zu tun, als wäre gestern nacht überhaupt nichts im Grove passiert. Meldungen über den Vandalismus - wenn auch nicht die vollständige Geschichte -
    waren schon in sämtlichen lokalen Nachrichten gekommen.
    Abernethy wußte Bescheid.
    »Waren Sie dort, Grillo?«
    »Hinterher. Erst hinterher. Ich habe den Alarm gehört und...«
    »Und?«
    »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Es waren ein paar Scheiben eingeschlagen.«
    360
    »Hell's Angels auf dem Zerstörungstrip.«
    »Haben Sie das gehört?«
    »Ob ich das gehört habe? Sie sind doch angeblich der verdammte Reporter, Grillo, nicht ich. Was brauchen Sie denn?
    Drogen? Alkohol? Einen Besuch von der verdammten Mude?«
    »Es heißt Muse.«
    »Mude, Muse, ist doch scheißegal. Bringen Sie mir eine Story, die die Leute lesen wollen. Es muß doch Verletzte gegeben haben...«
    »Glaube ich nicht.«
    »Dann erfinden Sie ein paar.«
    »Ich habe etwas...«
    »Was? Was?«
    »Eine Story, über die noch niemand berichtet hat, wette ich.«
    »Hoffentlich ist sie gut, Grillo. Ihr verdammter Job steht nämlich auf dem Spiel.«
    »Droben bei Vance wird eine Party stattfinden. Um sein Ableben zu feiern.«
    »O. K. Sie gehen hin. Ich will alles über ihn und seine Freunde. Der Mann war ein Tunichtgut. Ein Tunichtgut hat Tunichtgut-Freunde. Ich will Namen und Einzelheiten.«
    »Manchmal hören Sie sich an, als hätten Sie zu viele Filme gesehen, Abernethy.«
    »Was soll das heißen?«
    »Vergessen Sie's.«
    Noch lange, nachdem Grillo den Hörer aufgelegt hatte, sah er im Geiste das Bild von Abernethy vor sich, der nächtelang wach saß und Zitate aus irgendwelchen Zeitungsgeschichten einübte, um seine Darbietung als hartgesottener, verbissener Redakteur zu verbessern. Damit war er nicht allein, überlegte Grillo. Jeder hatte einen gottverdammten Film im Hinterkopf laufen, bei dem sein eigener Name über dem Titel stand. Ellen war die Frau, der Unrecht geschehen war und die schreckliche Geheimnisse zu wahren hatte. Tesla war das Wilde Weib von 361
    West Hollywood, die in einer Welt zurechtkommen mußte, die sie nicht gemacht hatte. Dieser Gedankengang führte zur logischen Frage: Was war er? Der jugendliche Reporter auf heißer Spur? Der integre Mann, der durch die Verbrechen eines korrupten Systems zu Fall gebracht worden war? Keine Rolle paßte so zu ihm wie einst, als er, mit vom Gaspedal noch heißem Fuß, hier eingetroffen war, um die Buddy-Vance-Story zu berichten. Die Ereignisse hatten ihn irgendwie in eine Nebenrolle gedrängt. Andere, speziell Tesla, hatten die Hauptrollen übernommen.
    Während er sein Äußeres im Spiegel betrachtete, fragte er sich, was es heißen mochte, ein Star - ein Stern - ohne Firmament zu sein. Möglicherweise die Freiheit, einen anderen Beruf zu wählen? Raketenwissenschaftler; Jongleur;
    Liebhaber. Wie wäre es mit Liebhaber? Der Liebhaber von Ellen Nguyen? Das hörte sich nicht schlecht an.

    Es dauerte lange, bis sie zur Tür kam, und als sie endlich da war, schien sie ein paar Sekunden zu brauchen, bis sie Grillo auch nur erkannte. Als er sie gerade ansprechen wollte, lächelte sie und sagte:
    »Bitte... kommen Sie rein. Haben Sie sich von der Grippe erholt?«
    »Noch etwas zittrig.«
    »Ich glaube, ich bekomme sie auch...«, sagte sie, während sie die Tür zumachte. »Als ich aufwachte, fühlte ich mich... ich weiß nicht, wie...«
    Die Vorhänge waren noch zugezogen. Die Wohnung sah
    noch kleiner aus, als Grillo sie in Erinnerung hatte.
    »Möchten Sie Kaffee?« sagte sie.
    »Gern.

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