Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
aufraffte, Fatima zu besuchen, voller Erinnerungen an ihren beruhigenden Einfluss auf mich. In dem Imbiss bediente ein plumper Kerl, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, er zuckte mit den Schultern, als ich nach Fatima fragte, und sagte, sie sei weggefahren. Dann wandte er sich wieder den Kunden zu. Mir kam die Befürchtung, man habe sie abgeschoben. Und ich flüchtete mich wieder in die Lehrbücher.
Als das Herbstsemester vorbei war, erfuhr ich, dass Arndís mitten in der marokkanischen Wildnis ein Kind zur Welt gebracht hatte. Lächelnd posierte sie mit einem Jesuskind auf dem Arm auf den Titelseiten der Zeitschriften, die meine Mutter mir schickte, doch ich sah kaum hinein. Abgestumpft redete ich mir ein, dass das kein Grund sei, Kontakt aufzunehmen, schließlich hatte sie sich ja auch nie bei mir gemeldet. Meine Gedanken kreisten um das Studium, und ich hielt tapfer zwei weitere Semester durch: lernte Spanisch, Katalanisch und die Literaturen der beiden Sprachgebiete. Ich tat das, was ich zu tun hatte, und spürte, wie langsam Gras über alles wuchs – aber die Faszination für Barcelona war dahin.
Wie ein Zugvogel im Wind wehte es mich nach Dänemark, ohne dass ich zwischendurch nach Island kam, ich nahm Abschied vom Raval-Viertel, von den Bergen und dem heiteren Himmel über der Ebene, die die Einheimischen Ewiger November nennen, und entdeckte, dass mir das gut tat. Ein Jahr verging, bevor ich Mama schließlich wiedersah, als sie mich in Dänemark besuchte. Sie wälzte sich in einem quietschenden Klappbett herum und schnarchte so laut, dass ich manchmal dachte, sie würde in meinen Träumen sein. Es war ein fast zeitlos langer Urlaub; mein Bedürfnis, ihr das Leben zu erleichtern, war stärker denn je, doch mein Bedürfnis, allein zu sein, wog schwerer. Mama folgte mir überallhin wie ein Schatten, begeistert davon, dass ich bei einer Wohnungsvermittlung eine Arbeit als Reinigungskraft gefunden hatte, die mir genug Freizeit ließ, um ein paar Literaturkurse in meinen Tagesablauf einzubauen. Sie war begeistert von dem Blumenkorb, der an der Lenkstange meines Fahrrades befestigt war, und erkundigte sich neugierig über den Verein der Isländer in Kopenhagen, wo ich einige Bekannte gefunden hatte. Sie brachte mich dazu, meine Wohnung zu streichen, schlug sich auf die Schenkel, als ich verkündete, kein Interesse mehr an Männern zu haben, und fragte, ob ich einmal darüber nachgedacht hätte, nach Hause zu kommen.
Im Augenblick finde ich es ganz romantisch, hier zu wohnen, sagte ich, ohne die Augen von den frisch gestrichenen Wänden zu nehmen, und wir spürten in dem Moment beide, dass etwas anders geworden war.
So vergingen die Jahre in angenehmer Routine, bis der Wind den Zugvogel zurück nach Hause nach Island wehte.
*
Mama hat mir versprochen, Helgi von der Klavierstunde abzuholen und ihn zum Krimi-Workshop zu bringen, damit ich den Berg von zerknickten, zerknitterten Bestellzetteln abarbeiten kann. Es ist ein Rennen gegen die Zeit, und bevor ich mich versehe, ist mein Leben fünf Stunden kürzer geworden.
Ich muss mich sputen, um rechtzeitig fertig zu werden, muss den Widerwillen überwinden, den ich gegenüber den Brüdern hege. Zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, im neuen Jahr nicht hierher zurückzukommen.
Der Gedanke beruhigt mich. Erleichtert lasse ich meine Schultern sinken, als meine Finger über die Tasten des Keyboards sausen, hohl von innen wie wurmstichige Äpfel. Um mich einen Moment abzulenken, greife ich zu dem Buch am Rande des Schreibtisches: Strindbergs Hölle ist der Himmel für Pu den Bären.
Langsam blättere ich es durch und finde es irgendwie interessanter als beim ersten Mal, wahrscheinlich ist das Buch sogar ganz okay. Es ist ja nicht seine Schuld, dass zwei zigarrenpaffende Burberry-Hobbits mir befohlen haben, in einem lächerlichen Kostüm das zu verkaufen, was eigentlich nur die unvermeidliche Nebenwirkung einer durchzechten Nacht war. Wer weiß, ob sie nicht auf der nächsten Buchmesse die Erotischen Memoiren eines Kinderschänders kaufen. Denen ist alles zuzutrauen, nach ein paar Gläsern Apfelwein in Gegenwart von großen ausländischen Intellektuellen.
Ich kichere, als ein Bild von dem schlafenden Pu erscheint, mit dem Buch von Weg und Tugend als Kopfkissen. Die Worte sickern in seinen Kopf, so dass er ganze Sätze aus dem Buch träumt: Wer nicht das fürchtet, was er fürchten sollte, dem wird Schlimmes widerfahren . An Pus Seite wacht das Ich und zittert am
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