Jenseits des Spiegels
mussten einen wirklich ständig durch die Gegend ziehen. Mein rechter Arm war bestimmt schon länger als der linke, weil Pal das auch die ganze Zeit machte. Was war nur aus dem guten alten nebeneinanderlaufen geworden?
Kopfschütteln schlängelte ich mich durch die Kängurus, und passte auf, dass ich dabei mit niemanden ins Gehege kam. Es war bereits dunkel, und die Festwiese wurde nur durch strategisch angebrachte Lampions erleuchtet. Das riesige Lagerfeuer war geschürt worden, und erledigte den Rest. Daher hatte ich genug Licht, als ich mich vor dem Büffet wiederfand, und die Essbarkeit der einzelnen Speisen abwog.
Da war etwas, dass sah aus, als hätte man Nudeln um einen Schaschlik gedreht, aber sie waren blau. Ich kannte grüne Nudel, und rote. Sogar schwarze hatte ich schon gesehen, aber blau? Ne, das sollte ich meinem Magen besser nicht antun. Wer wusste schon, was dabei herauskommen würde.
Dann gab es da noch etwas Braten. Ich beäugte ich misstrauisch von allen Seiten, aber es sah wirklich aus wie einfacher kalter Braten. Keine seltsamen Farben, keine merkwürdige Form, und kein komischer Geruch. Einfach nur ein Stück Fleisch, das darauf wartete verspeist zu werden.
Ein ganz kleines Stück nur machte ich mir ab, und legte es argwöhnisch auf meine Zunge. Hm, auch geschmacklich stimmte es mit dem Aussehen überein. Ich beschloss, dass es wirklich nur Braten war, nahm mir eine ganze Scheibe, und lehnte mich damit an den Tisch.
Mein Blick schweifte über die anderen Gäste – ob man das hier so nennen konnte? – während ich daran rumknabberte. Ich entdeckte die Drillinge, die zusammen unter ihrem Baldachin saßen, und ein kleines Baby von einem zum anderen reichten. Die vermutliche Mutter saß vor ihnen, und sah alles wohlwollend mit an.
Ein Stück weiter entdeckte ich ein wild knutschendes Pärchen, aber … war das nicht Atzaklee? Die Jungend und ihre Sprunghaftigkeit, mehr war da wirklich nicht zu sagen. Wie sich das hörte anhörte, als sei ich bereits uralt – was ich definitiv nicht war.
Ein paar Leutchen standen in Grüppchen zusammen, lachten und alberten zusammen herum. Ich gehörte nicht dazu, hier hatte ich nur Pal, der mit mir lachte. Hatte ich da wo ich herkam Freunde, mit denen ich sowas auch tat, oder war ich eher ein Einzelgänger, der mit der Masse nicht zu tun haben wollte? Wie sah es mit Familie aus, hatte ich überhaupt eine? Wurde ich vermisst? Hatte ich einen Freund, einen Partner, oder sogar einen Ehemann? Ich sah auf meine Finger. Kein Ring. Das Letzte dann wohl eher nicht. Aber wo und wie wohnte ich, was hatte ich für einen Job, und was tat ich gerne in meiner Freizeit? Was aß ich gerne, was war meine Lieblingsfarbe, meine Lieblingsblume?
So langsam wurde mir bewusst, was dieser Gedächtnisverlust für mich wirklich alles mit einschloss. Seit gestern war ich mit dem Werwolf und Magiekram so beschäftig gewesen, dass mir erst jetzt, in einem Moment der ruhe so richtig aufging, was das Ganze wirklich für mich bedeutete. Weg, alles weg. Es gab mich nicht mehr. Kein Lieblingsfilm, kein Lieblingsbuch, nicht mal ein Lieblingskleidungsstück. Ich hatte mich selbst verloren, und ich wusste nicht einmal warum.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, so überhaupt nichts über sich zu wissen. Warum war ich auf diesem Dachboden gewesen? Wie war ich hier her gekommen? Und warum gab es hier niemanden, der wusste, was ein Mensch war? Warum waren Dinge die für mich alltäglich erschienen für die Leute hier faszinierende Neuentdeckungen? Oder umgekehrt, warum befand ich mich an einem Ort, der mir genauso fremd war, wie ich selber? Würde meine Erinnerung zurückkehren, oder blieb sie mir fern?
Von diesen ganzen Gedanken bekam ich Kopfschmerzen. Darum versuchte ich sie abzuschütteln. Ich wollte nicht darüber nachdenken, wollte nicht wissen, was es für mich bedeutete.
Konzentrier dich einfach auf etwas anderes.
Ja, etwas anderes. Das war eine gute Idee. Ich ließ meinen Blick wieder wandern, doch leider war die Ablenkung die ich mir aussuchte, auch nicht viel besser.
Am Ende des Büffets, an eine Hauswand gelehnt, entdeckte ich Veith, und … er lächelte. Mein Herz setzte einen Moment aus, nur um mit doppelter Geschwindigkeit weiter zu schlagen. Dieses Lächeln, es war so atemberaubend, dass ich wohl nicht die einzige hier war, die plötzlich Atemschwierigkeiten hatte. Wie hatte die blonde Frau gestern noch gesagt?
Bei Veith kann das weibliche Geschlecht schon mal unanständige
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