Jenseits des Spiegels
noch einen Moment, und seufzte dann ergeben. So würde der da nie rauskommen. Erst als ich aus dem Kinderzug geklettert war, und mich neben Veith hockte, der mich sehr misstrauisch im Auge behielt, wurde mir so richtig bewusst, was Pal da eben gesagt hatte, und was es bedeutete. „Jagen? Du meinst ihr geht … jagen? So richtig? Mit Zähnen und viel Blut?“
„Gibt es denn noch eine andere Methode?“, wollte Domina wissen.
Klugscheißer. Ich griff nach dem Geschirr, und öffnete die Schnalle, damit Veith herausschlüpfen konnte. Zeitgleich fragte ich mich, was ich essen sollte, den rohes, blutiges, und vielleicht auch noch warmes Fleisch wollte sich in meinen Ohren einfach nicht lecker anhören. „Ich glaube, da hungere ich lieber.“ Ich trat einen Schritt zurück, als Veith sich das Geschirr abschüttelte, und dann ohne ein Dankeschön im Unterholz eintauchte.
Ich wusste, ich wiederholte mich, aber es ging einfach nicht anders: Idiot!
„Warum?“ Pal neigte den Kopf. „Wir bringen dir was mit.“
„Äh nein, ich glaube ich bleibe heute lieber Vegetarisch, und guck mal, ob ich Beeren oder so was finde.“ Die schrien wenigstens nicht um ihr Leben, wenn ich sie mir in den Mund steckte. Gut, das machte ein Stück Fleisch auch nicht, aber das hatte es vorher, als es noch lebendig gewesen war. Allein bei der Vorstellung schüttelte es mich schon am ganzen Körper. Nein, niemals. „Beeren sind schon in Ordnung.“
Fang war der Nächste, der ohne einen Abschiedsgrus verschwand, gleich gefolgt von Domina. Diese Werwölfe waren ein ganz schön unhöfliches Volk. Ein kurzer Grus war doch wirklich nicht zu viel verlangt, oder?
„Na gut, aber bleib in der Nähe vom Kinderzug“, mahnte Pal. „Wir sind bald zurück.“ Und dann war auch er verschwunden. Einen Moment hörte ich ihn noch im Unterholz rascheln, dann war er weg. Zurück blieb ich allein und verlassen, in einem großen, fremden Wald, der plötzlich voll von Geräuschen war. Vögel im Geäst, etwas raschelte zwischen den Sträuchern, irgendwo stieß ein Tier einen Schrei aus, den ich noch nie gehört hatte. Es knackte und knirschte.
Schluck. Die konnten mich doch nicht einfach so im Nirgendwo zurücklassen. Was wenn sie nicht wieder kamen, wenn sie mich ausgesetzt hatten?
Wie eine unliebsame Katze!
Ich verscheuchte den Gedanken, und ermahnte mich mit diesem Unsinn aufzuhören: Pal hatte doch gesagt, dass sie bald zurück waren, und ihm glaubte ich. Wäre das von Veith gekommen, wüsste ich jetzt schon, dass ich verloren war, aber auf Pals Wort konnte ich mich verlassen. Hoffte ich.
Mein Magen grummelte wieder sehr fordernd. Okay, anstatt hier rumzusitzen, und mir Horrorszenarien auszumalen, die von einer spurlos verschwundenen Talita handelten, sollte ich mich lieber auf die Socken machen, und zusehen, dass ich wirklich etwas Essbares fand.
Die Geräusche des Waldes waren die einzigen Begleiter auf meinem Weg. Ein zwei Mal fühlte ich michbeobachtet, und redete mir gut zu, dass es bloß die Tiere in diesem Wald waren. Um mich abzulenken, pfiff ich ein Liedchen, das mir wenigstens die Illusion gab, nicht ganz alleine herumzuirren.
Ich war schon ein Stück gelaufen, als ich an einem Busch kam, der kleine, schwarze Früchte trug. Sie erinnerten entfernt an Himbeeren, doch ich hatte keine Ahnung, ob sie essbar waren. Kurz war ich versucht meinem knurrenden Magen Folge zu leisten, und es einfach auszuprobieren, besann mich dann aber eines Besseren, und schaute ob ich noch etwas anderes fand. Nachher vergiftete ich mich noch selber. Veith würde das vielleicht gefallen, aber ich hing an meinem Leben. Nein danke, da hungerte ich lieber ein wenig.
Als dann ein Strauch mit wohlbekannten, roten Säckchen vor mir auftauchte, konnte ich mein Glück kaum fassen: Rothoden. Pal hatte recht, sie sahen wirklich wie ihr männliches Gegenstück aus. Eine weiße Blüte, unter der immer zwei Säckchen hingen – obwohl ich hier und da auch ein, oder drei nebeneinander entdeckte. Die Dinger hatten ihren Namen verdient.
Ich wollte mir eines abzupfen, aber das gestaltete sich schwieriger, als gedacht. Schon beim kleinsten Druck zerplatzten sie zwischen meinen Fingern. Zehn Minuten später hatte ich nur das im Magen, was ich von meiner Hand abgelutscht hatte, und war immer noch hungrig, Mist. Das musste doch irgendwie zu machen sein.
Kurzentschlossen brach ich einen Zweig mit zwei Früchten ab, und zupfte sie mit dem Mund vom Ast. Das sah vielleicht albern aus,
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