Jerry Cotton - 0560 - Den Tod auf Flaschen gezogen
inzwischen nördlich von Wantagh auf einer Pferdeweide gefunden — ohne eine Spur der Besatzung, versteht sich. Die Maschine wurde am frühen Vormittag vom Newark Airport entführt. Die Untersuchungen darüber sind noch im Gange.«
Ich schob skeptisch die Unterlippe nach vorn. »Gewiß werden sich auch im Innern des Transport-Hubschraubers keine Fingerabdrücke oder andere verwertbare Spuren finden«, sagte ich. »Was ist mit dem Müllwagenkessel und den Zeitungspaketen?«
»Der Kessel schwimmt noch auf dem Wasser, nehme ich an — ohne die Zeitungen. Die Wasserpolizei kam leider zu spät.« Phil klemmte sich eine Zigarette zwischen die Lippen. »Es war für die Gangster kein Problem, den Müllwagen zu stehlen. Sie mußten nur das Parkplatztor gewaltsam öffnen.«
»Heute morgen hatte ich das Gefühl, daß die Gangster einen gewaltigen Apparat in Bewegung gesetzt haben, um an das Geld heranzukommen«, sagte ich. »Bei näherer Betrachtung ist die Sache bloß halb so wild. Da die Gangster wußten oder fürchteten, daß man dem gestohlenen Müllwagen folgen würde, schufen sie rechtzeitig eine Möglichkeit, die Verfolger abzuschütteln. Ich muß zugeben, daß sie dieses Problem meisterhaft lösten.«
»Ich frage mich nur, wie sie an den Piloten herangekommen sind«, meinte Phil grimmig.
»In den Staaten gibt es Tausende ausgebildeter Hubschrauberpiloten«, sagte ich. »Nicht alle können anständige Kerle sein. Vielleicht haben es die Gangster fertiggebracht, einen von ihnen zu bestechen oder zu erpressen.«
»Uns steht noch eine Menge Arbeit bevor«, meinte Phil düster, »Nicht, wenn wir innerhalb der nächsten Stunde etwas Glück haben«, entgegnete ich.
Allan Franklin marschierte in seinem Wohnzimmer auf und ab. Er war nervös, sehr nervös sogar. Wo blieben bloß Vivian und Dexter? Er fand keine Erklärung für ihre Verspätung.
Als es endlich klingelte, stürmte er in die Diele, um die Wohnungstür zu öffnen. Er riß erstaunt seinen Mund auf, als er ein Girl vor sich stehen sah. Das Girl trug Witwenkleidung… ein schwarzes Kostüm, dazu ein kleines schwarzes Hütchen mit einem dichten dunklen Schleier, der gerade noch das Kinn bedeckte.
Er erkannte sie trotz der fremden Aufmachung sofort wieder. »Cynthia!« stieß er hervor und zog sie über die Schwelle. Dann schlug er die Tür zu. Cynthia torkelte erschöpft gegen die Wand. Sie war außerstande, ein Wort zu sprechen.
»Was ist los, Cynthia? Wo hast du gesteckt?«
»Gib mir etwas zu trinken«, murmelte das Girl matt. Sie ging ins Wohnzimmer und setzte sich. Franklin folgte ihr. Die Flasche stand bereits auf dem Tisch. Franklin holte ein Glas aus dem Schrank. »Da, bediene dich… und spann mich nicht auf die Folter! Rasch, ich muß wissen, was passiert ist.«
»Das ist passiert!« sagte Cynthia und schlug den Hutschleier zurück. Franklins Augen weiteten sich. Cynthias Gesicht war kaum wiederzuerkennen. Es war verquollen, aufgedunsen, blutunterlaufen. Die Lippen waren an einigen Stellen aufgeplatzt. .
Franklin setzte sich. »Sie haben dich geschlagen«, murmelte er fassungslos.
»Ich dachte, sie würden mich töten«, meinte das Girl. »Die Schmerzen waren furchtbar. Ich wollte nichts sagen, aber es gibt einen Punkt, wo man aufgibt. Ich war fertig. Ich bin es noch immer.«
Franklin griff nach der Flasche. Er entkorkte sie. Als er das Glas füllte, zitterte seine Hand. »Gleich müssen Vivian und Dexter hier sein«, sagte er. »Wir verteilen das Geld und verschwinden aus New York. Es wird höchste Zeit.« .
»Wie stellst du dir das vor?« fragte Cynthia bitter. Sie griff nach dem Glas und leerte es mit zwei langen Zügen. Dann zog sie wieder den Schleier über ihr Gesicht. »Diese Maskerade verdanke ich unseren Freunden aus der Unterwelt. Sie wußten, daß sie mich mit dem Gesicht nicht auf die Straße schicken konnten. Sehr aufmerksam, nicht wahr?«
»Sie haben dich freigelassen, das genügt. Kennst du die Leute?«
»Nicht einen davon«, preßte Cynthia durch die Zähne. »Natürlich habe ich mir ihre Gesichter eingeprägt…«
»Gesichter!« winkte Franklin ab. »Damit läßt sich nichts anfangen.« Er blickte auf seine Uhr. »Wo bleiben nur die beiden?«
»Wo hast du das Geld, Allan?«
Er starrte sie an. »Nicht hier im Haus. Warum?«
»Wir müssen uns davon trennen.«
»Hast du den Verstand verloren? Von vier Millionen trennen… nach allem, was geschehen ist?«
»Sie haben uns in der Hand, Allan.« Franklin stieß die Luft aus.
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