Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
Vom Netzwerk:
Butumites' folgten Berenger, Chersala und Rutgar dem Heer des Grafen von Toulouse, in dem auch die Karren mit den Teilen der Belagerungsgeräte mitgeführt wurden.
    Als Bohemund das Tal, eine Stunde Fußmarsch von der Stadt entfernt, erreicht hatte, hielt er inne und ließ an den Quellen, die inmitten kleiner Baumoasen sprudelten und zum Teil in Brunnen gefasst waren, sein Lager errichten. Ringsherum breiteten sich Haine niedriger Bäume, Weiden und Felder aus. Gespanne und Vorräte, Frauen und Unbewaffnete wurden in einem Viereck untergebracht, Holzstapel für die Feuer herbeigebracht, die Pferde abgeschirrt und die Kessel gefüllt. Bohemund lief durch die Zeltreihen - nur ein Drittel der Zelte wurde aufgestellt, wie vor zwei Tagen - und vergewisserte sich, dass Waffen und Rüstungen bereitgehalten wurden. Seine riesige Gestalt mit der klirrenden Rüstung rief gleichermaßen Erschrecken und die Gewissheit hervor, dass man mit seiner Kraft und Entschlossenheit gegen das Sultansheer würde bestehen können.
    Das zweite Heer und die Reiterei des Bischofs waren mindestens einen Tagesritt weit entfernt, jenseits der Passhöhe. Das Lager kam nur für Stunden zur Ruhe, es blieb genug Zeit, zu essen, zu beten, die Tiere zu füttern und zu tränken. Als die Feuer in der Ebene brannten, wagten sich die ersten Reiter aus den Mauern Dorylaions heraus.
    Bohemund ermahnte seine Mitstreiter zur Wachsamkeit. Er warnte vor den Pfeilregen der Sarazenen und vor deren Schnelligkeit im Kampf, weckte Schläfer, ließ Erschöpfte weiterschlafen und ermutigte jammernde Pilger, auf ihn, Bohemund, Gott und die Schärfe der christlichen Waffen zu vertrauen. Aber jedermann wusste, dass sich die Wanderer im Land der Muslime befanden, seit sie von Nikaia aufgebrochen waren.
 
    Die Hitze des Tages war einer kühlen, sternklaren Nacht gewichen. Der Mond verbarg sich hinter den Hügeln und Bergen. Die Schritte, die wandernden Fackellichter, der Hufschlag und die Rufe, mit denen sich die Wachen verständigten, im weiten Ring um das Lager, beruhigten die Pilger; sie begannen sich sicher zu fühlen wie hinter einer Stadtmauer. Um Mitternacht, als das Gelb des Mondes zu kalkigem Weiß gebleicht war und das Gestirn die Sterne zu überstrahlen begann, zogen leuchtende Nachtwolken auf. Fünfzehn- oder zwanzigtausend Menschen erzeugten ein mächtiges, undeutliches Summen, einen dumpfen Chor aus tausend verschiedenen Lauten. Es war wie der Atem eines riesigen Tieres, der Hauch des Tieres der Schrift. Im Mondlicht bot das Tal den Anblick einer unbewegten, missfarbenen Fläche, eines Menschensees, aus dem Dutzende grauer Rauchfäden senkrecht zu den Sternen aufstiegen wie lautlose Gebete.
    Das Mondlicht zeigte den Scharfäugigen auch die Bewegungen von Sträuchern, Büschen und den Kronen kleiner Bäume im Süden der Talebene. Niemand hörte die Bewegungen vieler Tausender Sarazenen, niemand sah, wie Metall oder andere Dinge in den Mondstrahlen matt aufblinkten. Es herrschte ebenso Windstille wie seit dem Morgen; kein Kundschafter, kein Wächter dachte in diesen Stunden daran, dass sich an den Hängen die Reiter des Sultans mit ihren Reittieren sammelten. Zum Ende der Nacht wehte trügerische Kühle von den Hängen herunter; der erste Tag im Heumond versprach heiß zu werden wie alle jene Tage im fremden Land. Der Mond senkte sich hinter die schwarzen Zacken der Berge, die Sterne verschwanden aus dem tiefen Grau des Firmaments.
    Im Morgengrauen, als die einzigen Farben noch den Wolken im Osten gehörten und sich erste Unruhe im Lager regte, näherte sich aus der Richtung des Sonnenaufgangs das harte Poltern von Pferdehufen. Einige Reiter kamen in scharfem Galopp auf das Lager zugesprengt. Schreie gellten auf:
    »Die Sarazenen! Das Heer des Sultans!«
    Lärm erhob sich, zuerst zögerlich, ungläubig, stockend, dann anschwellend und immer lauter. Etliche Atemzüge später stießen Trompeter in ihre Instrumente, und im schwindenden Zwielicht zerschnitten die Schreie und die schmetternden Töne endgültig den Morgen und die Hoffnung, den Kampf vermeiden zu können. Denn es würde eine furchtbare Schlacht werden.
    Das Morgenlicht enthüllte ein erschreckendes Bild. Von den Hängen aller Hügel im Süden, über die wenigen Pfade und Wege, durch die Einschnitte der Täler kamen die sarazenischen Reiter in langen Reihen, in Zweierreihen, in Haufen, zu dritt oder viert oder fünft nebeneinandertrabend. Es waren Hunderte, dann Tausende, schließlich so viele, dass es

Weitere Kostenlose Bücher