Jhereg
wäre einfacher für mich, euch die ganze Sache zusammen zu erklären.«
Einen Moment lang runzelte Morrolan die Stirn, dann nickte er mir zu. »In Ordnung, Aliera ist unterwegs, und sie sagt Sethra Bescheid.«
Sofort danach war Aliera da, und Morrolan und ich erhoben uns. Sie begrüßte uns beide mit einer leichten Verbeugung. Morrolan war für einen Dragaeraner ein bißchen zu groß. Dagegen war Aliera, seine Cousine, die kleinste Dragaeranerin, die ich je gesehen hatte; man hätte sie für einen großen Menschen halten können. Das störte sie natürlich, deshalb trug sie nur Gewänder, die zu lang waren, und dann glich sie den Unterschied dadurch aus, daß sie mehr schwebte als lief. Es hat mal welche gegeben, die darüber abschätzige Bemerkungen fallen ließen. Aber Aliera ist noch nie sonderlich nachtragend gewesen. Die meisten von denen hat sie hinterher wiederbelebt.
Morrolan und sie hatten beide ein paar der typischen Gesichtszüge der Dragon – die hohen Wangenknochen, recht schmale Gesichter und die strengen Brauen des Hauses; doch abgesehen davon hatten sie nur wenig gemein. Zum Beispiel hatte Morrolan, wie ich, schwarze Haare, Alieras aber waren golden, was bei Dragaeranern selten und bei Dragonlords noch nie dagewesen war. Normalerweise waren ihre Augen grün, was auch seltsam ist, aber ich habe auch schon gesehen, wie sie grau und gelegentlich eisblau wurden. Wenn Alieras Augen blau werden, bin ich in ihrer Nähe äußerst vorsichtig.
Sethra kam kurz danach herein. Was kann ich über Sethra Lavode erzählen? Diejenigen, die an sie glauben, behaupten, sie lebt schon zehntausend Jahre (manche sagen sogar zwanzig). Andere sagen, sie ist ein Mythos. Nennen ihr Leben widernatürlich, spüren den Atem einer Untoten. Färben sie mit der Farbe der Magie: Schwarz; färben sie mit der Farbe des Todes: Grau.
Sie lächelte mich an. Wir waren hier alle Freunde. Morrolan hatte Schwarzstab bei sich, der an der Wand von Baritts Gruft Tausende niedergemetzelt hatte, Aliera Wegfinder, von dem behauptet wird, daß er einer höheren Macht dient als dem Imperium. Sethra hatte Eisflamme dabei, der in sich die Kraft des Dzurberges barg. Ich war auch ganz gut dabei, danke der Nachfrage.
Dann setzten wir uns, damit wir alle auf gleicher Höhe waren.
»Nun denn, Vlad«, begann Morrolan, »worum geht es?«
»Um meinen Zorn«, antwortete ich.
Er zog die Brauen hoch. »Nicht auf jemanden, den ich kenne, hoffe ich.«
»Auf einen deiner Gäste, wie es aussieht.«
»Tatsächlich? Was für ein furchtbar unglücklicher Zufall für euch beide. Darf ich fragen, um wen es sich handelt?«
»Ist dir ein gewisser Lord Mellar bekannt? Ein Jhereg?«
»Nun, ja. Zufällig ist das der Fall.«
»Dürfte ich mich nach den Umständen dieser Bekanntschaft erkundigen?«
(Ein Kichern.) »Du hörst dich schon so an wie er, Boß.«
»Schnauze, Loiosh.«
Morrolan hatte nichts dagegen. »Ein paar Wochen ist es her, da ließ er mich wissen, daß er ein bestimmtes Buch erworben hat, für das ich mich interessierte, und wir verabredeten einen Termin, an dem er es zu mir bringen wollte. Er kam mit dem besagten Buch vor … mal sehen … vor drei Tagen. Seither ist er mein Gast.«
»Vermutlich hatte er das Buch tatsächlich bei sich?«
»Du vermutest ganz richtig.« Morrolan deutete auf das Werk, welches er gelesen hatte, als ich eingetreten war. Ich sah mir den Umschlag an, auf dem ein mir unbekanntes Symbol prangte.
»Was ist das?« wollte ich von ihm wissen.
Einen Augenblick lang sah er mich an, wie um zu prüfen, ob ich vertrauenswürdig war, oder ob er sich überhaupt so befragen lassen sollte, dann zuckte er mit den Schultern.
»Zauberkunst aus den Zeiten vor dem Imperium«, sagte er.
Ich stieß einen anerkennenden und überraschten Pfiff aus. Keiner der anderen im Zimmer schien jedoch von dieser Enthüllung erstaunt zu sein. Wahrscheinlich hatten sie es von Anfang an gewußt. Immer wenn ich glaube, ich kenne jemanden, finde ich was Neues über ihn heraus. »Weiß die Imperatorin von deinem kleinen Steckenpferd?« fragte ich ihn.
Er lächelte kurz. »Irgendwie vergesse ich jedesmal, ihr davon zu erzählen.«
»Das sieht dir aber gar nicht ähnlich«, bemerkte ich.
Als er darauf nichts erwiderte, fragte ich: »Wie lange studierst du das schon?«
»Die prä-imperiale Zauberei? Och, das ist schon seit etwa hundert Jahren mein Zeitvertreib. Die Imperatorin wird übrigens ohne Zweifel davon wissen; es ist kein großes Geheimnis.
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