John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
unterschreiben«, sagte er, wobei er ihr ein paar zusammengeheftete Papiere gab.
»Eine Geheimhaltungserklärung?«, fragte sie, während sie in den Papieren blätterte. »Ellis, ich besitze jede existierende Klassifikation.«
»Nicht dafür. Niemand ist dafür klassifiziert.«
Exley fühlte, wie sich ihr der Magen umdrehte, aber diesmal nicht aufgrund von Turbulenzen. Das Jefferson Hotel lag weit hinter ihr. »Was tun wir diesem Mann an?«
Farouk Khan hatte einen außergewöhnlich schlechten Tag. Allerdings war es für ihn längst nicht mehr von Bedeutung, ob es Tag oder Nacht war. In den Wochen, seit ihm die Spezialtruppe eine Kapuze über den Kopf gezogen und ihn in eine unterirdische Zelle von Camp Victory gebracht hatte, hatte er jedes Zeitgefühl verloren. Farouks Pass war eine Fälschung, aber sein Geigerzähler war echt, und die Task Force 121 erkannte dadurch augenblicklich seine Bedeutung.
Innerhalb weniger Stunden erreichte die Nachricht seiner Festnahme sowohl hochrangige Offiziere der CIA als auch des Centcom – des United States Central Command, das die amerikanischen militärischen Operationen im Nahen und Mittleren Osten leitet. Bis am nächsten Tag in Washington die Sonne aufging, war auch das Weiße Haus unterrichtet. Und noch vor zwölf Uhr mittags hatte der Präsident eine Verfügung unterzeichnet, die Farouk als feindlichen Kombattanten der Klasse C-1 einstufte.
Seit dem Jahr 2001, als die USA erstmals verhaftete Al-Quaida-Mitglieder dem Schutz der Genfer Konventionen für traditionelle Kriegsgefangene enthoben hatten, hatten die USA nur sechsmal die Klasse C-1 vergeben. Rechtlich bedeutete diese Klassifizierung, dass die Regierung der USA festgelegt hatte, dass Farouk möglicherweise Informationen über unmittelbar bevorstehende (Kategorie C) Terroranschläge großen Ausmaßes (Kategorie 1) besaß. Als Folge wurde Farouk sowohl von den Genfer Konventionen als auch den Rechten ausgeschlossen, die der Oberste Gerichtshof der USA für die in Guantanamo festgehaltenen Gefangenen definiert hatte.
Wenn man die rechtlichen Ausdrücke wegließ, bedeutete diese Klassifizierung, dass Farouk bis zum Hals in der Scheiße steckte.
Selbstverständlich billigte die Regierung der USA auch
für Gefangene wie Farouk nicht die Anwendung der Folter. Zivilisierte Länder folterten keine Gefangenen. Der Begriff Folter wurde jedoch in dem Handbuch, das die zulässigen Verhörmethoden für C-1-Häftlinge wie Farouk spezifizierte, sehr eng ausgelegt. Das Handbuch, das aufgrund seines Umschlags auch Weißbuch genannt wurde, führte an, dass die Vernehmer den Schaden, der einem Häftling zugefügt wurde, gegen die mögliche Gefahr von Terrorakten abzuwägen hatten. Damit sagte das Weißbuch, dass Vernehmer alles tun durften, das keine »schweren und permanenten« Schäden zur Folge hatte. Das Bindewort war kursiv hervorgehoben worden, um den Standpunkt des Handbuchs zu verdeutlichen. Schwere Schäden waren solange gestattet, solange sie nicht permanent waren. Ähnlich verhielt es sich mit Psychopharmaka. Auch sie waren nur dann untersagt, wenn sie »schwere und permanente« Gehirnschäden oder Geisteskrankheiten hervorriefen. Dasselbe galt für sensorische Deprivation, Isolationshaft und Nahrungs- und Wasserentzug.
Das Weißbuch erklärte außerdem, dass Schmerz ein subjektiver Begriff sei, der von Person zu Person unterschiedlich zu werten sei. Hiermit war Schmerz in jedem Ausmaß gestattet, solange er keine »schweren und permanenten« Verletzungen bewirkte. Das Weißbuch merkte trocken an, dass »Schmerz nicht zwangsläufig als Ersatz für traditionellere Verhörmethoden eingesetzt werden solle. Die Androhung von Schmerzen ist oft wirkungsvoller als die Schmerzen selbst.«
Farouks Reise hatte in Bagdad begonnen.
Noch während er kaum einen Meter von Zayds Leiche entfernt auf dem Dach kniete, hatte man ihm die Hände auf den Rücken gebunden. Ein Mann in amerikanischer Militäruniform
hatte ihm eine Kapuze über den Kopf gezogen und um den Hals festgemacht. Damit war die Welt schwarz geworden. Die Kapuze saß zu eng, sodass er nicht atmen konnte. Gewiss wollten sie sie nicht gar so eng zuschnüren. Nachdem er einen flachen Atemzug nach dem anderen gemacht hatte, begann er, durch den Stoff der Kapuze hindurch nach Atem zu ringen. Bald schon hechelte er wie ein Hund. Panik schnürte ihm die Kehle zu. Er würde das Bewusstsein verlieren, hier auf diesem Dach sterben. Immer schneller rang er nach Atem, bis
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