John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
anstatt des wertvollen Materials, das er versprochen hatte. Das Weiße Haus hatte sich für diese Option entschieden. Immerhin betrachtete der Präsident die Al-Quaida als geschwächte, in die Defensive getriebene Organisation, der man im Vergleich zum Iran und anderen Unruhestiftern kaum Aufmerksamkeit schenken musste. Die Tatsache, dass die Gruppe vermutlich eine schmutzige Bombe in die USA gebracht hatte, stand damit nicht im Einklang. Deshalb suchte das Weiße Haus nach Beweisen, die die Bombe herabsetzten.
Vielleicht hatten ja die Optimisten in Pennsylvania recht, dachte Exley. Ihre Theorie hatte nur eine Schwachstelle: Farouk war ein ausgebildeter Techniker, der Saul genau erklärt hatte, wie er das gekaufte Material getestet hatte.
Als zweite Möglichkeit nahm man an, dass Farouk Saul schlicht und einfach über die Menge des von Dmitri angekauften radioaktiven Materials belogen hatte, in der Hoffnung, wichtiger zu erscheinen, als er war – wie es Häftlinge mitunter taten. Auch diese Theorie gefiel dem Weißen Haus. Sie ließ sich zudem relativ leicht überprüfen. Man hatte Farouk bereits wieder in das Loch gesteckt. Wenn er gelogen hatte, würde man es bald erfahren. Exley wollte sich gar nicht erst vorstellen, was Saul mit jenen tat, die versuchten, ihn zu betrügen.
Dann gab es noch eine dritte Möglichkeit, die dem Weißen Haus überhaupt nicht gefiel. Dieser Theorie zufolge hatte Farouk Saul nicht im Hinblick auf das Versteck der Bombe belogen, oder zumindest nicht absichtlich. In dem Fall hätte jemand Farouk belogen. Jemand, der sich Omar Khadri nannte, und der sich die Mühe gemacht hatte, eine gefälschte schmutzige Bombe zu bauen, und vielleicht sogar mehr als bloß eine. Warum sollte Khadri das getan haben? Um einerseits das Versteck der echten Bombe zu schützen, und andererseits als Gegenspionagefalle, sodass er erfuhr, ob die USA einen seiner Agenten aufgedeckt hatten.
Wenn die dritte Theorie stimmte, konnte Farouk ihnen nicht mehr sagen, egal was Saul auch unternahm. Damit wäre die Spur zur Bombe tot. Zudem hatte sich die JTTF durch die Evakuierung direkt nach der Explosion verraten. Das war das Schlimmste daran. Denn jetzt wusste Khadri, dass sie das Depot überwacht hatten.
Dadurch wusste er auch, das Farouk zusammengebrochen
und dass die Regierung der USA davon unterrichtet war, dass die Al-Quaida eine schmutzige Bombe auf amerikanischem Boden versteckt hatte. Durch all dies stieg die Wahrscheinlichkeit, dass er diese Bombe rasch zünden würde.
Nein, die dritte Theorie hatte nichts Beruhigendes an sich.
Shafer und Exley waren von ihr überzeugt.
11
Wells hob die Glock und legte auf sein Ziel an.
Sobald sich die Pistole nicht mehr bewegte, drückte er den Abzug. Die Glock sprach zu ihm, wie er es gewöhnt war, mit einem kurzen scharfen Bellen. Der Schlitten glitt zurück, warf eine Hülse aus, und die Waffe selbst zuckte in seinen Händen hoch, als wäre sie verärgert darüber, dass er sie abgefeuert hatte. Wells kontrollierte den Rückstoß und drückte nochmals den Abzug. Wieder und wieder und wieder, diesmal etwas tiefer.
Schließlich ließ er die Pistole sinken und blickte in Richtung des Ziels. Vier Löcher lagen im Zentrum, weniger als drei Zentimeter vom Schwarzen entfernt. Das fünfte Loch lag etwa fünfzehn Zentimeter darunter und etwas nach rechts verschoben. Auf eine Distanz von fünfzehn Metern war das nicht schlecht.
Seit Wells Khadris Nachricht erhalten hatte, hatte er sein Schießtraining wieder aufgenommen. Dazu fuhr er zum American Classic Marksman, einem kleinen Schießplatz in Norcross, das nur wenige Kilometer von seinem Apartment entfernt lag. Er hatte vergessen, wie sehr er es genoss, eine Pistole in Händen zu halten. Allerdings dachte er nicht an die Männer, die er getötet hatte, sondern an die Jagdausflüge, die er im Herbst mit seinem Vater Herbert unternommen hatte.
Einmal pro Jahr waren sie durch die Berge Montanas gewandert auf der Suche nach Hirschen und Elchen. Wells konnte noch beinahe den schwarzen Kaffee riechen, den sie jeden Morgen gekocht hatten, und das Knistern des Specks in der Pfanne hören. Seit er konvertiert war, hatte er keinen Speck mehr gegessen, und selbst jetzt vermisste er diesen Geschmack. Mit seinem Vater waren sie tief in die Berge vorgedrungen, um an einem geeigneten Ort in vollkommener Stille auf den perfekten Schuss zu warten. Der Schuss musste auch wirklich perfekt sein, denn Herbert gestattete seinem Sohn nur
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