Josefibichl
herauszubekommen, das erkannte Schneider. Egal, ob er etwas wusste oder nicht, er wollte mit den Polizisten nicht über dieses Thema reden. Was es mit der Partenkirchner Tradition der Grenzsteinversetzung genauer auf sich hatte, würde vielleicht die Sichtung der persönlichen Unterlagen Engelberts oder der Klosterakten, an denen er zuletzt gearbeitet hatte, zeigen. Darum tat Schneider zunächst so, als würde er sich mit der Antwort des alten Mönchs zufriedengeben. Auch, wenn er es ganz und gar nicht war. Und da seine junge ungestüme Kollegin das sicher auch nicht war, lenkte Schneider die Befragung schnell in eine andere Richtung, bevor sich Claudia in das Thema Grenzstein verbeißen konnte.
»Was trieb . . . Entschuldigung, womit beschäftigte sich Bruder Engelbert denn in seiner Freizeit?«
»Wie bereits erwähnt, war er eher ein introvertierter junger Mann. Am liebsten studierte er zurückgezogen in seiner Kammer.«
»Studierte Philosophie, die Bibel oder was?« Claudia Schmidtheinrich drückte aufs Tempo.
»Studierte geschichtliche Werke«, antwortete Gregorius ihr diesmal, allerdings würdigte er die junge Polizistin noch immer keines Blickes. »Er war sehr an der Geschichte dieser Gegend interessiert. Gäbe es mehr gute historische Literatur über das Werdenfelser Land, wäre seine Kammer sicher bis zur Decke damit angefüllt. Leider gehen die Menschen hier aber ähnlich schlampig mit ihrer Geschichte um wie mit Grundstücksgrenzen oder mit dem Erscheinungsbild ihres Ortes. Daher hat Bruder Engelbert auch viel Quellenstudium betrieben. Ich glaube sogar, er hat an einem eigenen Werk über irgendeinen historischen Aspekt des Werdenfels gearbeitet.«
»Sie wissen also nicht, welcher Aspekt das war?«, fragte Schneider. »Oder zumindest, welche Epoche?« Auch darüber hoffte er in Engelberts Nachlass Auskunft zu finden.
»Jüngere Geschichte«, konnte Gregorius jedoch wenigstens einschränken.
»Wir würden gern auf Ihr Angebot zurückkommen und uns in der Kammer von Bruder Engelbert umschauen und auch die Unterlagen einsehen, die er in der Verwaltung bearbeitet hat«, erklärte Schneider.
Die LKA-Polizisten folgten dem Abt aus seinem Büro in den zweiten Stock des Klostergebäudes. Dort lagen die Kammern der Mönche. Abt Gregorius öffnete die dritte Türe auf der linken Seite, und den beiden Beamten bot sich ein Anblick der Ordnung und Sauberkeit, wie er kaum zu übertreffen war.
Der drei auf vier Meter messende Raum konzentrierte sich auf das Fenster am hinteren Ende, das einen grandiosen Blick auf das gegenüberliegende Wettersteingebirge bot. Links war die pittoreske Alpspitze zu sehen, einige Handbreit weiter rechts – in Wirklichkeit eine auch für geübte Bergsteiger mindestens sechs Stunden dauernde Höhentour über den Jubiläumsgrat entfernt – brach das Gebirge an seinem höchsten Punkt, der Zugspitze, jäh zweitausend Meter hinunter zum Eibsee ab. Ein Bild, das die Welt von den millionenfach gedruckten Kitschpostkarten des ortsansässigen Hübner-Verlags kannte. Und ebenso von den Bewerbungsunterlagen Münchens um die Olympischen Spiele 2018, denn zu diesem Anlass waren diese Berge in Ermangelung höherer und schneesicherer Gipfel kurzerhand in die bayerische Landeshauptstadt eingemeindet worden.
Direkt unter dem Postkartenblick stand der Schreibtisch des jungen Mönchs. Ein wie alles in diesem Zimmer einfaches, aus dem hellgelben Holz der Zirbe geschreinertes Möbel von rund einem Meter zwanzig Breite und zwei Metern Tiefe.
Claudia Schmidtheinrich hatte ihre Latex-Handschuhe bereits auf dem Weg zu der Kammer übergestreift und betrat den Raum als Erste. Schneider und der Abt blieben beide im Türrahmen stehen, um die junge Frau zu beobachten, wie sie das mönchische Schlaf – und Arbeitsgemach in Augenschein nahm. Mit professionellen Handgriffen und ohne den geringsten Anschein von Befangenheit wurde jedes Blatt und jedes Stück Stoff umgedreht, die Matratze angehoben, der Kleiderschrank geöffnet, die drei Schubladen auf der rechten Seite des Schreibtisches behutsam aufgezogen, deren Inhalt begutachtet und wieder in die ursprüngliche Position abgelegt.
»Sauber. Irrsinnig sauber«, lautete Claudia Schmidtheinrichs erstes Fazit. Dann wandte sie sich an den Abt: »Haben Sie hier erst heute putzen lassen?«
Der gab lieber Schneider die Antwort: »Wir sind hier zwei Männer und haben drei Frauen für unseren Haushalt sowie die Sauberhaltung von Kirche und Kloster
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