Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
wenn auch nur ein kleiner Zug, ein Müskelchen anders säße, nicht etwa immer noch vieles übrig, sondern der ganze, die Herzen dienstbar machende Gefälligkeitsspuk unvorhanden wäre? Rahel war hübsch und schön. Sie war es auf zugleich pfiffige und sanfte Weise, von der Seele her, man sah – und auch Jaakob sah es, denn ihn sah sie an –, daß Geist und Wille, ins Weibliche gewendete Klugheit und Tapferkeit hinter dieser Lieblichkeit wirkten und ihre Quelle waren: so voller Ausdruck war sie und schauender Lebensbereitschaft. Ihm sah sie entgegen, die eine Hand an der Flechte, in der anderen den Stab, der sie überragte, und musterte den reisemageren jungen Mann im verstaubten, verfärbten, zerschlissenen Rock, mit dem braunen Bart im dunkel verschwitzten Gesicht, das nicht das eines Knechtes war, – und dabei schienen die wohl eigentlich zu dicken Flügel ihres Näschens sich drollig zu blähen, und die Oberlippe, die untere ein wenig überhängend, bildete mit ihr in den Mundwinkeln von selbst und ohne Muskelanziehung etwas sehr Liebes, ein ruhendes Lächeln aus. Aber das Hübscheste und Schönste war eben ihr Schauen, war der durch Kurzsichtigkeit eigentümlich verklärte und versüßte Blick ihrer schwarzen, vielleicht ein klein wenig schief geschlitzten Augen: dieser Blick, in den, ohne Übertreibung gesagt, die Natur allen Liebreiz gelegt hatte, den sie einem Menschenblick nur irgend verleihen mag, – eine tiefe, fließende, redende, schmelzende, freundliche Nacht, voller Ernst und Spott, wie Jaakob dergleichen noch nie gesehen hatte oder gesehen zu haben meinte.
»Marduka, still!« rief sie, indem sie sich scheltend zu dem lärmenden Hund niederbeugte. Und dann fragte sie, was Jaakob leicht erraten konnte, ohne es zu verstehen:
»Woher kommt mein Herr?«
Er deutete über seine Schulter, gen Untergang, und sagte: »Amurru.«
Sie sah sich nach Jerubbaal um und winkte ihm lachend mit dem Kinn.
»Von so weit!« sagte sie mit Miene und Mund. Und dann fragte sie offenbar nach näherer Herkunft, beschrieb das Westland als weitläufig und nannte zwei oder drei seiner Städte.
»Beerscheba«, antwortete Jaakob.
Sie stutzte, sie wiederholte. Und ihr Mund, den er schon anfing zu lieben, nannte den Namen Isaaks.
Sein Gesicht zuckte, die sanften Augen gingen ihm über. Er kannte die Labansleute nicht und war nach Gemeinschaft mit ihnen nicht ungeduldig gewesen. Er war ein Friedloser, gestohlen zur Unterwelt, nicht freiwillig war er hier, und zur Glückesrührung war nicht viel Grund vorhanden. Aber seine Nerven gaben nach, zermürbt von den Anforderungen der Wanderschaft. Er war am Ziel, und das Mädchen, die Augen voll süßen Dunkels, das den Namen des fernen Vaters nannte, war seiner Mutter Bruderkind.
»Rahel«, sagte er schluchzend und streckte die Arme nach ihr mit zitternden Händen, »darf ich dich küssen?«
»Warum solltest du das wohl dürfen?« sagte sie und trat lachend erstaunt zurück. So wenig gab sie schon zu, etwas zu vermuten, wie sie vorhin gleich zugegeben hatte, den Fremden bemerkt zu haben.
Er aber deutete sich, den einen Arm noch nach ihr ausgestreckt, immerfort auf die Brust vor ihr.
»Jaakob! Jaakob!« sagte er. »Ich! Jizchaks Sohn, Rebekka’s Sohn, Laban, du, ich, Mutterkind, Bruderkind ...«
Sie schrie leise auf. Und während sie, eine Hand gegen seine Brust gestemmt, ihn sich noch vom Leibe hielt, rechneten sie einander, lachend und beide mit Tränen in den Augen, die Verwandtschaft vor, nickten mit den Köpfen, riefen Namen, machten der eine dem andern mit Zeichen die Stammeslinien klar, fügten die Zeigefinger zusammen, kreuzten sie oder legten den linken waagerecht auf die Spitze des rechten.
»Laban – Rebekka!« rief sie. »Bethuel, Nachors Sohn und der Milka! Großvater! Deiner, meiner!«
»Terach!« rief er. »Abram – Isaak! Nachor – Bethuel! Abraham! Urvater! Deiner, meiner!«
»Laban – Adina!« rief sie. »Lea und Rahel! Schwestern! Kusinen! Deine!«
Sie nickten ein übers andere Mal und lachten unter Tränen, einig über ihre Blutsverbundenheit von seinen beiden Eltern, von ihrem Vater her. Sie ließ ihn an ihre Wangen, und er küßte sie feierlich. Drei Hunde sprangen bellend an ihnen hoch, in der Aufregung, die diese Tiere befällt, wenn Menschen, sei es in Gutem oder Bösem, Hand aneinander legen. Die Hirten klatschten Beifall im Takt und frohlockten dabei mit hohlen Kopfstimmen: »Lu, lu, lu!« So küßte er sie, auf eine Wange und dann auf die
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