Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
allem, was das Gedächtnis der Menschheit in dieser Art aufbewahren würde, und den Jaakob in seinen Einzelheiten beschrieb, nach Hieb, Wurf und Stich. Der Hohlweg hatte sich mit Leichnamen gefüllt von Mensch und Tier; er selbst allein hatte siebenmal sieben junge Räuber zur Strecke gebracht und von seinen Leuten jeder eine etwas geringere Anzahl. Doch wehe, die Übermacht der Feinde war unbezähmbar gewesen; einer nach dem anderen waren die Seinen um ihn gefallen, und nach mehrstündigem Kampfe schließlich, einsam übriggeblieben, habe er um Odem für seine Nase ersuchen müssen.
Warum man, fragte ein Weib, nicht auch ihn erschlagen habe.
Das war die Absicht gewesen. Schon hatte der Räuber Obmann, der allerjüngste und frechste, das Schwert über ihm geschwungen zum Todesstreich, da hatte er, Jaakob, in höchster Not seinen Gott angerufen und den Namen des Gottes seiner Väter, und dieses hatte bewirkt, daß des blutdürstigen Knaben Schwert über ihm in der Luft zersplittert war, in siebenmal siebzig Stücke zersprungen. Das hatte dem abscheulichen Kinde den Sinn verwirrt, es mit Schrecken geschlagen, und mit den Seinen hatte es verzweifelt das Weite gesucht, allerdings unter Mitnahme von allem, was Jaakob besessen, so daß dieser nun nackt war. Nackt und treu hatte er seine Reise fortgesetzt, an deren Ziel ihn eitel Balsam erwartete, Milch und Honig und zur Kleidung Purpur und köstliche Leinwand. Jetzt aber, wehe, er hatte bis dahin nicht, wohin sein Haupt zu legen, und nicht, womit zu stillen den gellen Schrei seines Magens, denn längst war in seinem Bauche das Grünkraut zuwenig geworden.
Er schlug sich die Brust, und das taten auch seine Zuhörer auf dem Markt bei den Händlerständen oder bei den Tränken, denn sie waren erhitzt und ergriffen von seiner Erzählung und nannten es eine Schande, daß dergleichen noch vorkomme und die Straßen nicht sicherer seien. Bei ihnen hier, sagten sie, gebe es Wachen auf den Straßen, jede Doppelstunde eine. Und dann gaben sie dem Geschlagenen zu essen, Fladen, Klöße, Gurken, Knoblauch und Datteln, zuweilen selbst ein paar Tauben oder eine Ente, und auch sein Tier bekam Heu vorgeschüttet und sogar Korn, so daß es Kräfte sammeln konnte zur Weiterreise.
So kam er wohl von der Stelle und rückte vor, entgegen dem Jordanlaufe, ins hohle Syrien, zur Orontesschlucht und zum Fuße des Weißen Gebirges, aber langsam ging es, denn die Art seines Broterwerbes war zeitraubend. In den Städten besuchte er die Tempel, redete mit den Priestern über das Göttliche und wußte sie durch seine Bildung und geistreiche Rede für sich einzunehmen, so daß er sich stärken und versehen durfte aus den Vorratskammern des Gottes. Er sah viel Schönes und Heiliges auf seiner Fahrt, sah den Herrscherberg des obersten Nordens wie von feurigen Steinen funkeln und betete an, sah Landstriche köstlich befeuchtet vom Schnee des Gebirges, wo Stämme hochschwanker Dattelpalmen die geschuppten Schwänze von Drachen nachahmten, Zedern- und Sykomorenwälder dunkelten und manche Bäume süße Mehlfrucht in Büscheln anboten. Er sah Städte voll Volksgewimmel, Dimaschki in Obstwald und Zaubergärten. Dort sah er eine Sonnenuhr. Von dort erblickte er auch mit Furcht und Abscheu die Wüste. Sie war rot, wie es sich gehörte. In trüb-rötlichem Dunst erstreckte sie sich gen Morgen, ein Meer der Unreinheit, der Tummelplatz böser Geister, die Unterwelt. Ja, diese wurde dem Jaakob nun zuteil. Gott schickte ihn in die Wüste, weil er Esau laut und bitter hatte aufschreien machen – nach Gottes Willen. Sein Kreislauf, der auf Beth-els Höhe zu einer so tröstlichen Himmelfahrt geführt hatte, war nun auf den Westpunkt der Wende gelangt, wo es in der Welt Höllenunteres ging, und wer wußte wohl, welche Drachennot dort seiner wartete! Er weinte etwas, als er auf seines Tieres Buckel in die Wüste schwankte. Ein Schakal lief ihm voraus, lang, spitzohrig und schmutziggelb, die Rute waagerecht ausgestreckt, eines traurigen Gottes Tier, eine anrüchige Larve. Er lief vor ihm her, indem er den Reiter zuweilen so nahe herankommen ließ, daß diesen sein beizender Dunst traf, wandte den Hundskopf nach Jaakob, sah ihn aus kleinen häßlichen Augen an und trottete weiter, indem er ein kurzes Lachen vernehmen ließ. Jaakobs Wissen und Denken war viel zu beziehungsreich, als daß er ihn nicht erkannt hätte, den Öffner der ewigen Wege, den Führer ins Totenreich. Er hätte sich sehr gewundert, wenn er ihm nicht
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