Julia Extra Band 0193
einem Gefängnis gewesen.”
“So fühlte ich mich auch. Es ging in diesem Haus sehr streng zu, so streng, dass es überhaupt kein menschliches Mitgefühl zu geben schien. Ich war sehr unglücklich dort und hatte Heimweh.”
“Aber wenn Sie versucht hätten, mit Ihrem Vater zu sprechen, hätte er vielleicht eingelenkt und Sie auf eine andere Schule geschickt.”
“Sie kennen meinen Vater nicht”, sagte Zoë mit einem traurigen Lächeln. “Wie ich Ihnen heute Morgen schon erzählte, gehört mein Vater nicht zu den Menschen, mit denen man reden kann.”
Für Callum wurde die Situation langsam ungemütlich.
“Wie dem auch sei, die Schule war sehr teuer und hatte einen sehr guten Ruf, um aus jungen Mädchen junge Damen zu machen. Mein Vater sagte immer: ‚Du kannst dich glücklich schätzen, diese Schule besuchen zu dürfen. Diese Jahre werden dir später als die glücklichsten deines Lebens erscheinen, das siehst du jetzt nur noch nicht ein.‘ Und immer, wenn er das sagte, wurde ich ganz traurig.”
“Wir alle sagen den Kindern, dass die Schulzeit die glücklichste und unbeschwerteste Zeit des Lebens ist.”
“Aber für einige Kinder trifft das nicht zu”, erwiderte Zoë.
“Haben Sie noch Brüder oder Schwestern?”, fragte Callum.
“Nein. Meine Mutter konnte keine Kinder mehr bekommen, und nach ihrem Tod hat Vater nicht wieder geheiratet, obwohl es sicherlich gut gewesen wäre, wenn er sein Leben mit einer Frau geteilt hätte. Stattdessen hatte er sich ganz und gar auf das Geschäft konzentriert; doch obwohl er sehr erfolgreich war, ist er, glaube ich, bis heute sehr einsam.”
“Wenigstens hat er eine große Liebe in seinem Leben gehabt, und er hat Sie.”
Ihre Blicke trafen sich, und Zoë wagte kaum zu atmen. Ob es der Wein war oder die Nähe von Callum? Jedenfalls fühlte sie sich leicht und wie befreit nach diesem Gespräch.
“Ist denn Ihr Vater immer noch so erfolgreich?”, fragte Callum.
“Erfolgreicher als je zuvor.”
“Aber das ist doch auch schön für Sie.”
“Nun, ich würde lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass Vaters geschäftliche Erfolge auch sehr angenehme Seiten für mich haben. Mein Auto zum Beispiel war ein Geschenk zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag.”
Also doch! Sie liebt das Geld und den Lebensstil, dachte Callum. Aber würde das nicht jeder tun?
“Aber Geld ist nicht alles, Callum”, sagte Zoë und sah ihm dabei fest in die Augen. “Das klingt zwar sehr nach einem Klischee, doch es stimmt. Dad schickte mich in die aufregendsten Ferienorte, als ich noch in der Schule oder auf dem College war. Das war nett von ihm gedacht, aber er tat es, weil er nicht zu Hause war. Er dachte, wenn er mir teure Jetset-Reisen spendiert, würde ich glücklich sein. Die Wahrheit aber war, dass ich viel lieber bei ihm gewesen wäre. Es gibt Dinge, die sich nicht regeln lassen, wenn man mit Geld um sich wirft. Geld konnte Mommy nicht retten, als sie krank war, und mit Geld kann man sich keine Selbstachtung kaufen, insbesondere wenn man es nicht selbst verdient hat. Deswegen nehme ich keine Geschenke mehr von meinem Vater an. Das macht ihn böse, weil er denkt, ich bin schwierig. Doch im Leben eines jeden Menschen kommen Zeiten, da will er unabhängig sein, und das kann ich nicht, solange Dad alles für mich regelt, mich beschenkt und mir Vorschriften macht. Seine Motive mögen noch so gut gemeint sein, ich muss meinen eigenen Weg im Leben gehen.”
“Glauben Sie, dass der Tod Ihrer Mutter Ihnen zu einer realistischeren Lebensauffassung verholfen hat?”
“Ja, das glaube ich. Ganz sicher hat er dazu beigetragen, dass ich aus eigenem Antrieb all die Dinge und Fertigkeiten gelernt habe, die es mir heute ermöglichen, auf eigenen Füßen zu stehen.” Sie machte eine kleine Pause. “Entschuldigen Sie”, sagte sie dann, “ich glaube, ich habe die ganze Zeit von meinem Vater gesprochen, oder? So oder so haben wir genug über mich geredet, finden Sie nicht auch?”
“Nein, das finde ich nicht. Das hat mich alles sehr interessiert”, antwortete Callum mit einem liebenswürdigen Lächeln.
Er hat fantastische dunkle Augen, dachte Zoë. Callum Langston sieht viel zu gut aus, um in seiner Nähe die Ruhe zu bewahren. Es kostete sie Mühe, die Augen von ihm abzuwenden.
“Wollen Sie mir nicht auch von Ihrem schlimmsten Augenblick in der Schule erzählen? Schließlich habe ich Ihnen auch meine Streiche gestanden.”
“Wie ich schon sagte, war ich ein
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