Julia Extra Band 0213
seit Chrissie genügend eigene Sorgen hatte. Heute aber war es für die Jüngere zu offenkundig, dass ihre ältere Schwester ganz neben der Spur war.
“O doch! Wenn Jarrad Mitchell im Spiel ist, glaube ich so manches!” Chrissie verdrehte ihre großen braunen Augen, die in dem schmalen Gesicht und in Kombination mit dem sportlichen Kurzhaarschnitt noch umso ausdrucksstärker wirkten. Sie warf einen Blick auf den achtzehn Monate alten Matthew, auf den sie an diesem Vormittag aufgepasst hatte und der gerade entdeckt hatte, wie viel mehr Spaß es machte, ein Bilderbuch in die Gegend zu werfen, als dessen Seiten umzublättern. “Also berichte – schieß los!”
Kendal setzte ihre Teetasse auf dem Peddigrohrtisch ab, den sie vor drei Jahren, als Chrissie und Ralph als frisch Vermählte das Haus viktorianischen Stils bezogen, mit ausgesucht hatte. Sie lehnte sich zurück und atmete tief ein. “Er droht mir damit, das Sorgerecht einzuklagen.”
“Wie bitte?” Chrissie horchte entsetzt auf.
“Was willst du also tun?” Chrissie sank in ihrem geblümten Sofa in sich zusammen. “Du nimmst die Drohung doch ernst, oder?”
Kendal sah sie fassungslos an. “Chrissie! Das würde doch heißen, ich würde von vornherein die Segel streichen. Ich werde gehen – und zwar mit Matthew –, und ich werde mich gegen Jarrad wehren, sobald das nötig sein wird!”
“Das könntest du aber womöglich irgendwann doch bedauern …” Chrissie nahm einen Schluck Tee. “Der Mann ist ein Kämpfer, Kendal. Einer von der härtesten Sorte. Er wird dich fix und fertig machen, bis du zu ihm zurückkriechst und um Gnade winselst, noch bevor die Sache vor Gericht kommt. Jarrad Mitchell ist zu allem fähig!”
Kendal verzog das Gesicht, doch als ihr Blick auf Matthew fiel, der mit seinem Bilderbuch auf dem dicken Teppich saß und sie mit einer süßen Unschuldsmiene anstrahlte, da musste sie doch leise lächeln. “Du tust ja gerade so, als sei er ein Dämon mit übermenschlichen Kräften.” Ein leichter Schauder lief ihr über den Rücken, als sie wieder ihre Tasse nahm. “Und es hört sich an, als würdest du ihn für seine Art noch bewundern!” Es klang leicht vorwurfsvoll, und sie wünschte, sie irrte sich da, obschon sie wusste, dass sie mit ihrer Vermutung bestimmt nicht ganz falsch lag.
Vom ersten Moment an, da Chrissie auf ihrer eigenen Hochzeit Jarrad kennenlernte, hatte sie zu ihm wie zu einem Idol aufgeschaut, so wie man es eigentlich nur von einem naiven Teenager kennt – zugegeben war sie da ja auch noch fast einer gewesen. Zu Kendals Überraschung schien sich an der Haltung aber noch immer nicht so sehr viel geändert zu haben, trotz der brutalen Art, wie Jarrad ihren Mann Ralph behandelt hatte.
“Sein entschiedenes Auftreten, wodurch ihm jedermann Respekt zollt, bewundere ich in der Tat”, betonte Chrissie beinahe streitsüchtig. “Ralph hätte davon auch etwas gut gebrauchen können.” Sie lebte inzwischen seit länger als einem Jahr allein, ohne den eigentlich sympathischen, doch stillen Finanzbuchhalter.
“Und ein Dämon ist Jarrad auch keineswegs”, fuhr Chrissie fort, immer noch in diesem fast zänkischen Ton. “Aber eben ein entschlossener Typ, der gewiss auch eine Menge mehr emotionalen Druck aushalten kann als du. Du solltest daher keinen Kampf anzetteln, der letzten Endes gerade für dich eine Nummer zu groß wäre, Kendal. Sei bereit zu einem Zugeständnis.”
Kendal sah ihre Schwester finster an. “Willst du sagen, ich soll mir die Chance dieses Jobangebots einfach entgehen lassen?”
Einen Moment lang glitzerte etwas in dem dunklen Augenpaar, und Kendal fiel auf, wie sehr Chrissie vom Gesicht her ihrem gemeinsamen Vater ähnelte. Da musste sie auch wieder daran denken, wie ihr Vater sie und ihre Mutter dereinst verlassen und einfach im Stich gelassen hatte, und das wegen einer anderen Frau. Als auch mit ihr die Liaison in die Brüche ging, empfing ihre Mutter den Vater wieder mit offenen Armen. Doch er war daraufhin erneut fremdgegangen. Danach war ihre Mutter gänzlich zusammengebrochen und wenig später gestorben.
“Du hast immer so viel gearbeitet, außer in den paar Monaten, als du Matthew bekamst …”, bemerkte Chrissie jetzt, und es klang wie ein indirekter Vorwurf und eine Klage.
“Das musste ich ja auch”, erwiderte Kendal ganz ruhig. Nach dem Tod ihrer Mutter vor acht Jahren war Chrissie erst dreizehn gewesen und Kendal gerade mal achtzehn. Doch ihr Vater hatte sich da nicht
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