Julia Extra Band 0350
Man merkte ganz einfach, dass sie den Laden liebte, was Hannah nie getan hatte.
Hannahs Entschluss stand fest. Beim gemeinsamen Abendessen mit ihrer Freundin erzählte sie Lisa sowohl von Sergej als auch von ihrem neuen Leben und stellte die entscheidende Frage. Mit einem Glas Wein besiegelten sie das Geschäft, und Lisa war hellauf begeistert, bald stolze Ladenbesitzerin zu sein.
Da ihr Mann inzwischen wieder einen guten Job hatte, war sie auch zuversichtlich, Hannah einen fairen Preis dafür zahlen zu können. „Ich habe nicht vor, dich übers Ohr zu hauen, nur weil du jetzt einen Milliardär heiratest.“
„Ganz so weit ist es ja noch nicht“, wehrte Hannah ab.
Lisa drückte ihr die Hand. „Aber du liebst ihn, nicht wahr?“
„Ja.“ Da gab es keine Frage.
Spät in der Nacht ging Hannah noch einmal allein in den Laden. Er war der Traum ihrer Eltern gewesen, von dem sie sich befreien musste. Jetzt konnte sie ihren Eltern verzeihen, dass sie versucht hatten, ihr diesen Traum aufzuzwingen. Sie konnte loslassen und nach vorne blicken. So wie Sergej es getan hatte. Lächelnd knipste sie das Licht aus und schloss die Tür hinter sich ab.
Sergej schob den Stapel Papiere gereizt weg. Er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Seit Hannah vor fast einer Woche allein in die Staaten geflogen war, benahm er sich wie ein liebeskranker Idiot. Er war es nicht gewohnt, so viel für eine Frau zu empfinden. Nur ein einziges Mal hatte er mit ihr telefoniert, denn sie wollte offensichtlich bei der Abwicklung ihres alten Lebens in Ruhe gelassen werden. Unterschwellig nagte an ihm natürlich die Frage, ob und wann sie zurückkehren würde.
Die Gegensprechanlage auf seinem Schreibtisch summte. „Ja?“
„Hier ist eine Lady, die dich sprechen will“, meldete sich Grigori.
Sergejs Herz pochte sofort schneller. „Schicke sie herein.“
Er war bereits freudig aufgestanden in der Erwartung, Hannah endlich wieder in die Arme schließen zu können, als eine Fremde sein Büro betrat.
Fast fremd. Ungläubig starrte Sergej die junge Frau an, die das blonde Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte und ihn aus großen blauen Augen ansah … so strahlendblau wie seine.
Sein Lächeln verschwand, und er atmete tief ein. „Alyona?“
„Sie … du bist Sergej Kholodov?“
„Ja.“ Natürlich erkannte sie ihn nicht wieder. Sie war ja damals viel zu klein gewesen. „Und … du bist Allison Whitelaw?“
„Ja.“ Sie schüttelte seine Hand. „Du musst mich für völlig verrückt halten, dass ich hier so unangekündigt hereinschneie.“
„Ich bin überrascht. Aber auch sehr froh. Kommst du geradewegs aus Amerika?“
Sie presste nervös die Lippen zusammen. „Ja, es war ein Spontanentschluss. Nicht einmal meine Eltern wissen, dass ich hier bin. Aber … ich musste dich einfach persönlich sehen.“ Sie blickte auf, unsicher, aber auch neugierig.
„Kein Problem. Wie wär’s, wenn wir uns setzen würden?“
Er führte seinen Gast zum Ledersofa und nahm in einem Sessel ihr gegenüber Platz. Eine ganze Weile sagten sie gar nichts und musterten einander schweigend. Sergej kämpfte überwältigt mit den Tränen. Zweiundzwanzig Jahre hatte er auf diesen Moment gewartet.
„Ich habe diesem … Privatdetektiv gesagt, dass ich keinen Kontakt wünsche, weil ich völlig in Panik war“, gestand sie schließlich, und es klang sehr amerikanisch. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich einen Bruder habe.“
„Ich verstehe.“
„Meine Eltern wussten es auch nicht“, fuhr sie fort, und Sergej entschied sich, das erst einmal so stehen zu lassen. „Aber nachdem ich diese E-Mail bekommen hatte, musste ich natürlich immer an dich denken.“
Sie blickte ihn offen an, und ihm fiel das kleine Mädchen wieder ein, das er immer beschützt hatte.
Ich habe keine Angst, Serjosha, wenn du bei mir bist. Diesmal komme ich nicht mit, Alyona, aber alles wird gut.
„Plötzlich sind Erinnerungen aufgetaucht“, fuhr Alyona … Allison … fort. „Kleine Sachen. Ein Kuscheltier … eine Katze.“ Sie sah ihn fragend an.
„Du hattest so ein Kuscheltier“, bestätigte er sanft. „Du hast es Leo genannt.“
„Leo. Ja. Und dann sehe ich noch … Blumen.“
„Schneeglöckchen“, bestätigte Sergej. „Sie wuchsen in einer Ecke im Hof. Ich habe sie für dich gepflückt und kleine Kränze daraus geflochten.“
Allison lächelte scheu. „Warum … warum wurden wir getrennt?“
Sergej zögerte. Er wollte keinen Keil zwischen seine
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