JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
aggressiven Hund gestellt worden war. Sein Besitzer, einer von Wintons Gästen, hatte das Tier zurückgerufen und sich damit gebrüstet, welch ein großartiger Wachhund es wäre. Dass Amber vor Angst fast zu Tode erschreckt gewesen war, hatte ihn nicht im Geringsten interessiert. Doch als sie jetzt besorgt von ihrem Hochsitz nach unten blickte, stellte sie fest, dass Rocco wie ein olympiareifer Kurzstreckenläufer auf die Lichtung eilte. Seltsamerweise nahm ihre Nervosität sogar noch zu.
„Was zum Teufel hast du vor?“, brüllte er sieben Meter von ihr entfernt. „Komm sofort herunter!“
Der Regen hatte inzwischen aufgehört. Deshalb vermutete Amber, dass Rocco die Vorhut von einer größeren Gruppe bildete, der Harris Winton sein Waldgebiet zeigte. Angesichts seines herrischen Tons biss sie verärgert die Zähne zusammen. „Weshalb versuchst du, mich wie ein ungehorsames Kind aussehen zu lassen, obwohl ich nur meine Arbeit mache?“, zischte sie zurück. „Glaubst du, ich bin zu meinem Vergnügen hier oben?“
Rocco verzog verärgert das Gesicht und schlenderte dicht an den Baum heran. Entschlossen nahm er ihr den herunterhängenden Laubrechen aus der Hand und warf ihn beiseite. „Wenn du diesen brüchigen Ast da oben abschlägst, wird er dir den Schädel einschlagen.“
„Ich bin hier absolut sicher.“
„Rede keinen Unsinn!“ Rocco reckte sich in die Höhe und hob Amber kurzerhand von der Konifere. Der Ast, auf dem sie gestanden hatte, schnellte zurück und erschütterte den ganzen Baum. Knarrend löste sich der lockere Ast über ihnen und fiel langsam herab.
Rocco bewegte sich schnell – aber nicht schnell genug, um das Gleichgewicht, mit Amber auf den Armen, zu halten. Er rutschte auf dem weichen Laubteppich aus und ging mit Amber über sich zu Boden. Matt vor Erleichterung, dass keiner von ihnen verletzt worden war, barg sie ihr Gesicht an seinem Hemd, roch seinen schmerzlich vertrauten Duft, der an den Fasern haftete, und horchte auf den kräftigen Schlag seines Herzens.
„Na, wie wirst du dich jetzt bei mir bedanken?“, fragte Rocco träge.
Amber stemmte sich energisch auf den Händen in die Höhe, rutschte rückwärts von ihm hinunter und stand auf. „Mich bedanken? Nachdem du uns beide beinahe umgebracht hättest?“, erwiderte sie fassungslos.
„Ich habe dir das Leben gerettet, meine Liebe“, erklärte er selbstbewusst und betonte jede Silbe. Rocco stand ebenfalls auf, schlenderte zu dem Baum und betrachtete den zerschmetterten Ast, dessen Stücke über den ganzen Boden verstreut lagen. „Winton hätte einen Förster oder einen Baumexperten mit dieser Arbeit betrauen sollen.“
„Er ist zu geizig, um deren Stundenlohn zu zahlen.“ Amber folgte ihm mit unsicherem Blick. Rocco trug eine dunkelgrüne Wetterjacke und verwaschene Denimjeans, die seine schlanken Hüften und seine langen muskulösen Schenkel betonten. Die leichte Brise zerzauste das volle silberblonde Haar über seinem schmalen Gesicht. Er sah so fantastisch aus, dass es ihr schier den Atem raubte. „Wieso bist du ganz allein hier draußen?“
„Ich bin vor einigen fanatischen Monopoly-Spielern geflohen.“ Rocco lehnte sich an den Stamm der Konifere und beobachtete Amber mit verschleiertem Blick. Seine Augen glänzten unter den dichten dunklen Wimpern.
„Monopoly? Machst du dich über mich lustig?“, fragte Amber, trat unbewusst näher und wollte zurückweichen, sobald sie erkannte, was sie tat.
„Ich mag keine Brettspiele.“ Er streckte seine langen Arme aus und fasste ihre Schultern, bevor sie außer Reichweite war.
„Du bist blass … Und du zitterst am ganzen Körper.“
„Mag sein.“ Amber sah in seine goldbraunen Augen und wollte etwas Intelligentes sagen. Aber ihr fiel absolut nichts ein.
Rocco zog sie mühelos an sich. „In ein paar Stunden bin ich fort.“
„Fort?“ Amber hatte sich sofort wieder losmachen wollen, konnte sich aber nicht rühren. Auf diesen Schock war sie nicht vorbereitet. Die Tatsache, dass er in Kürze abreiste, traf sie beinahe wie ein körperlicher Schlag. Rocco war für das Wochenende hier. Natürlich würde er wieder gehen. „Heute ist doch erst Sonnabend“, hörte sie sich leise sagen.
„Vierundzwanzig Stunden bei den Wintons sind eine lange Zeit, Pussycat.“ Mit seinen langen Fingern umrahmte er ihre hohen Wangenknochen und küsste Amber leidenschaftlich, als wäre es das Normalste auf der Welt.
Amber war völlig wehrlos. Die Nachricht von Roccos
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