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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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gebannt darauf reagierte, als würde es ihn wiedererkennen. Als wäre ich vor langer, langer Zeit schon einmal dort gewesen, auf der Suche nach demselben Gott. Schlagartig begriff ich, dass ich zum ersten Mal in einem Gebäude stand, das Ähnlichkeit mit dem Schloss aus meinem Traum hatte, dem Schloss der flüsternden Geister. Während ich in diesem stillen Wald aus Silberbirkensäulen mit großen Augen zu der sternenübersäten Kuppel emporblickte, ging mir durch den Kopf, dass mich vielleicht einmal jemand in diese Kathedrale mitgenommen hatte, als ich noch ein Baby war, und ich sie irgendwie in meinem Gedächtnis abgespeichert hatte, ohne zu wissen, worum es sich dabei eigentlich handelte.
    Ich war nur ein einziges Mal in einer anderen Kirche dieser Größe gewesen. Nach einem Zahnarztbesuch hatte Umberto mir erlaubt, den Rest des Vormittags die Schule zu schwänzen, und war mit mir in die Basilica of the National Shrine in Washington gegangen. Ich war damals bestimmt nicht älter als sechs oder sieben, konnte mich aber noch lebhaft daran erinnern, wie er sich mitten in dem riesigen Kirchenraum neben mich kniete und mich frage: »Hörst du es?«
    »Was?«, fragte ich, während ich den Griff der kleinen Plastiktasche mit meiner neuen rosa Zahnbürste fest umklammert hielt.
    Verschmitzt legte er den Kopf ein wenig schräg, als würde er lauschen. »Die Engel. Wenn du ganz leise bist, kannst du sie kichern hören.«
    »Worüber lachen sie denn?«, wollte ich wissen. »Über uns?«
    »Sie bekommen gerade Flugunterricht. Dazu brauchen sie keinen Wind, sondern nur den Atem Gottes.«
    »Und der lässt sie fliegen? Der Atem Gottes?«
    »Es gibt beim Fliegen einen Trick. Die Engel haben ihn mir verraten.« Er musste lächeln, weil ich vor Ehrfurcht ganz große Augen machte. »Man muss alles vergessen, was man als Mensch gelernt hat. Als Mensch entdeckt man irgendwann, dass eine große Kraft darin liegt, die Erde zu hassen. Sie kann einen fast zum Fliegen bringen. Aber nur fast.«
    Ich zog die Stirn kraus, weil ich ihm nicht recht folgen konnte. »Was ist dann der Trick?«
    »Den Himmel zu lieben.«
    Während ich so dastand und an Umbertos ungewöhnlichen Gefühlsausbruch denken musste, näherte sich von hinten eine Gruppe britischer Touristen, deren Führer gerade angeregt von den vielen vergeblichen Versuchen erzählte, bei Ausgrabungen die alte Krypta der Kathedrale zu finden, die im Mittelalter angeblich existiert hatte, nun aber für immer verloren schien.
    Da mich der sensationslüsterne Ton des Fremdenführers amüsierte, hörte ich noch eine Weile zu, ehe ich die Kathedrale den Touristen überließ. Draußen schlenderte ich die Via del Capitano entlang, bis ich schließlich zu meiner großen Überraschung wieder auf der Piazza Postieria landete, direkt gegenüber von Malènas Espressobar.
    Auf dem kleinen Platz hatte bisher immer geschäftiges Treiben geherrscht, doch an diesem Tag war es dort angenehm ruhig - vielleicht, weil bei der glühenden Hitze alle Siesta hielten. Gegenüber einem kleinen Brunnen stand ein Podest mit einem Wolf und zwei Säuglingen, und über dem Brunnen selbst war ein wild aussehender Metallvogel angebracht. Zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, bespritzten sich mit Wasser und liefen dabei kreischend vor Lachen hin und her, während nicht weit entfernt ein paar alte Männer nebeneinander im Schatten saßen. Sie hatten ihre Jacken ausgezogen, aber die Hüte aufbehalten, und betrachteten mit sanften Augen ihre eigene Unsterblichkeit.
    »Hallo«, sagte Malèna, als sie mich die Bar betreten sah. »Luigi hat wirklich gute Arbeit geleistet, nicht wahr?«
    »Er ist ein Genie.« Ich ging zu ihr hinüber und lehnte mich an die kühle Theke, wo ich mich seltsam zu Hause fühlte. »Solange er hier ist, werde ich Siena nicht mehr verlassen.«
    Der warme Klang ihres lauten, fröhlichen Lachens ließ mich ein weiteres Mal über die geheime Zutat im Leben dieser Frauen nachdenken. Worin sie auch bestehen mochte, ich hatte offenbar nichts davon abbekommen. Es ging dabei um viel mehr als nur um Selbstvertrauen. Eher schien es sich um die Fähigkeit zu handeln, sich selbst zu lieben, von Herzen und mit Haut und Haar, Körper und Seele, woraus sich wohl ganz automatisch die Überzeugung ergab, dass sämtliche Männer auf dem Planeten darauf brannten, dasselbe zu tun.
    »Hier ...« - Malèna stellte einen Espresso vor mich hin und legte augenzwinkernd einen Biscotto dazu, »Sie sollten mehr essen. Das

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