Junger, Sebastian
die mir einfiel, war
ein ebenso extremes wie außer Kontrolle geratenes Szenario - hundert
Taliban-Kämpfer kommen aus der Schlucht herauf und überrennen den Drahtverhau
-, sodass der Griff zur Waffe dem Überleben diente. Das war zu schrecklich, um
es erhoffen zu dürfen, und daher tat ich es nicht, aber ich merkte doch, dass
ich gerne dabei sein würde, wenn es sich
einmal so zutrug.
Der
Gedanke ist töricht und peinlich, aber auch das Eingeständnis wert. Geistig
absolut gesunde und untadelige Männern haben sich wieder und wieder zum
bewaffneten Kampf hingezogen gefühlt, und jeder, der am Gedanken des Weltfriedens
interessiert ist, täte gut daran, zu erfahren, um was es diesen Männern geht. Nicht
notwendigerweise ums Töten - davon bin ich mehr als überzeugt -, sondern um die
andere Seite der Medaille: ums Beschützen. Die Verteidigung des Stammes ist ein
wahnsinnig zwingender Leitgedanke, und ist man ihm erst einmal ausgesetzt,
existiert so gut wie nichts anderes, das man lieber täte. Der einzige Grund,
warum in Restrepo noch jemand lebte - oder in Aranas oder Ranch House und
später in Wanat -, lag darin, dass jeder dort oben willens war, für die
Verteidigung dieses Orts zu sterben. Im 2 nd Platoon waren Tim und
ich die Einzigen, die sozusagen gratis von dieser Übereinkunft profitierten,
und die psychologische Bedeutung dessen lässt sich kaum überbetonen. (Einmal
warf Tim einigen Soldaten, die sich während eines Gefechts hinter einem Hesco
verschanzt hatten, Munition zu, aber näher sind wir einer Teilnahme nie
gekommen.) Es existierte eine Schuld, die niemand registrierte außer den
Schuldnern selbst.
Kollektive
Verteidigung kann so zwingend sein - ja, so sehr süchtig machen -, dass sie
schließlich zur Begründung dafür wird, warum die Gruppe überhaupt besteht. Ich
glaube, so gut wie jeder Mann in Restrepo hoffte insgeheim, dass noch bevor
sein Einsatz zu Ende ging, der Feind einen entschlossenen Versuch wagte, die
Stellung zu stürmen. Es war der schlimmste Albtraum aller, aber gleichzeitig
auch das Ereignis, auf das sie am meisten hofften, eine ultimative
Demonstration der Gemeinschaft und Kampfstärke der Männer. Bestimmt gab es
Männer, die sich erneut zum Dienst verpflichteten, weil dergleichen noch nicht
geschehen war. Als die Männer wieder in Vicenza waren, fragte ich Bobby Wilson,
ob er denn Restrepo vermisste.
»Ich würde
gleich morgen in einen Helikopter steigen und wieder hinfliegen«, sagte er.
Dann beugte er sich etwas vor und sagte ein bisschen leiser: »Die meisten von
uns würden es tun.«
-3-
Wochenlang nichts außer dem beunruhigenden Horten von
Munition im Tal und den rätselhaften Dingen, die die Kommandeure des Feindes
in ihre Funkgeräte sprechen. »Ich bringe die Duschka und die Milch«, funkte ein
Kommandeur, aber niemand wusste, ob es sich um ein Kodewort für etwas anderes
handelte oder ob er tatsächlich Milch irgendwohin brachte. Laut der
Funkgespräche gibt es jetzt im Tal ein Dutzend Mörsergranaten, Munition für
eine rückstoßfreie Flugabwehrkanone und sogar einige Katjuscha-Raketen. Im
Jahr 2000 hatte ich zusammen mit einer Gruppe tadschikischer Kämpfer im Norden
einen Raketenangriff der Taliban überstanden, und mir war nicht danach, das
Erlebnis zu wiederholen. Die Raketen kamen mit einem kreischenden Pfeifton angeflogen,
der mich noch jahrelang allergisch auf pfeifende Wasserkessel und kreischende
U-Bahnbremsen hatte reagieren lassen.
Eines
Morgens führt Patterson eine Patrouille hinauf auf den westlichen
Gebirgsausläufer über die Hochstraße und dann durch duftenden Salbei und vorbei
an einer feindlichen Stellung voller leerer Messinghülsen. Von dort können wir
über die Hescos hinweg direkt nach Restrepo hineinsehen.
Patterson
gibt die Koordinaten per Funk zum KOP durch, damit die Mörser die Stellung
treffen können, wenn der KOP das nächste Mal aus dieser Richtung beschossen
wird, und wir klettern weiter. Wir kommen auf einen Gipfel mit Namen Peak One,
den sich die Amerikaner und die Taliban mehr oder weniger teilen. »Wenn wir
hier oben sind, gehört er uns, und sobald wir abziehen, gehört er ihnen«, sagt
Mac. Es gibt Gefechtsstellungen, die südlich in Richtung Yaka Chine ausgerichtet
sind, und Taliban-Stellungen, die nördlich auf den KOP zielen. Allesamt sind
vermüllt.
Ein Affe
beäugt uns aus sicherer Entfernung auf einem Fels, und jemand sagt, wenn er ein
Funkgerät hielte, dürften wir ihn erschießen. Wir bleiben eine
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