Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
viel befahrenen Gewässern im Winter mit sich bringt«, und über »die Tatsache, dass die ›Stephan‹ schwer zu manövrieren ist«). Zu diesem Zeitpunkt war Porthcurno bereits seit zwei Generationen das Kommunikationszentrum eines florierenden Weltreiches – und das sollte es noch lange bleiben, wenn auch eher im Stillen.
Spät am Nachmittag machte ich einen Spaziergang zum Strand hinunter, wo das Museum das alte Telegraphenhaus instand hielt und bei Badewetter für Besucher öffnete. Die Sonne verschwand langsam hinter den Felsen; außer mir waren hier nur einige Paare, die aufs Meer hinausstarrten. Weiter oben am Strand stand ein verwittertes Schild mit der Aufschrift »Telefonkabel«, als Warnung für vorüberfahrende Schiffe. Ich stieg über eine steile, in den Fels gehauene Treppe zu einem Pfad hinauf, der an der Steilküste entlangführte. Tief unter mir fuhr ein Fischerboot vorbei, ein Punkt so klein wie mein Fingernagel. Weit draußen auf dem Meer hielt ein großer Tanker auf den Kanal zu. Die See war ein flacher, stahlblauer Teppich, der sich bis zum Horizont erstreckte, ein Bild der Unendlichkeit. Ich versuchte mir die Kabel am Meeresgrund vorzustellen, ihre letzten Meter, bevor sie das Festland erreichten. Im Museumsladen hatte ich ein kleines Stück echten Kabels gekauft, das in einer Vitrine von der Größe meines Daumens steckte. Die Plastikhülle war aufgeschnitten, so dass man das stromleitende Kupferrohr und die Glasfasern darin sehen konnte. Vom Durchmesser her war es kleiner als eine Euromünze, aber unendlich lang. Das Ganze war greifbar und unbegreiflich zugleich, in seinen vertikalen Ausmaßen überschaubar, in den horizontalen jedoch schier unvorstellbar. Es war wie das Meer selbst: unendlich groß, und doch konnte man es mit dem Flugzeug an einem Tag überqueren – und elektronisch in einem Wimpernschlag. Wie seltsam, auf der Suche nach dem Internet, das so häufig dafür gefeiert wird, dass es die Welt kleiner macht, daran erinnert zu werden, wie groß die Welt doch ist. Das Netz hat die Distanzen nicht wegwischen können; die Schlieren sind nach wie vor sichtbar, wie bei einer frisch geputzten Tafel.
Auf dem Weg zurück ins Dorf kam ich an einem Revisionsschacht vorbei, in dessen Deckel das Wort » ductile « geschmiedet war. Als ich näher zum Strandparkplatz kam, stieß ich auf weitere Schächte und dann auf einen Holzzaun im Schilf, hinter dem ich elektrisches Gerät summen hörte. Aus einem Entwässerungsgraben ragten riesige, vorzeitlich anmutende Gunnera-Pflanzen auf, Riesenrhabarber, jede von ihnen mehr als mannshoch – als würde ihr Wachstum vom Licht gefördert, das unter ihnen hindurchpulsierte.
An jenem Abend skypte ich von der Pension aus mit meiner Frau in New York: über die Zeichnungen unserer Tochter in der Kindergrippe, über die Schweinerei, die unser Hund angerichtet hatte, über den Handwerker, der den tropfenden Wasserhahn reparieren sollte. Anders als ein Telefongespräch wurde unsere Unterhaltung über das Internet übertragen, kostenlos und glasklar, mit etwa 128 000 Bit pro Sekunde. Hinterher startete ich eine Traceroute-Anfrage, weil ich neugierig war, welchen Weg all diese Bits genommen hatten. Er führte zurück nach London – und dann wieder hier vorbei Richtung New York. Meine Frühstückspension lag fast unmittelbar an der Straße, und unter dieser Straße verlief eine Nabelschnur, die Europa mit den Vereinigten Staaten verband. Allerdings schossen die Daten hier ohne Zwischenstopp vorbei, genau wie die Linienjets hoch oben in den Wolken. Als ich das Licht ausschaltete, lag das Tal so still, dass mir die Ohren klangen.
Am nächsten Morgen holte mich Jol Paling, der Leiter der Landestation von Global Crossing, in der Pension ab, und ich fuhr ihm mit meinem Wagen hinterher. Kaum dass wir das Tal hinter uns gelassen hatten, kamen wir auf so etwas wie die Hauptstraße in der Welt der Seekabel – eine Aneinanderreihung von einem halben Dutzend Landestationen. Die erste war als steinernes Wohnhaus getarnt; wäre da nicht das große, automatisch betriebene Tor gewesen, hätte man die Landestation kaum als solche erkannt. Als Nächstes folgte ein turnhallengroßes Gebäude mit weit ausladendem Dach und verspielten blauen Luftschächten, die an Bullaugen erinnerten. Es war Teil des sogenannten FLAG -Systems (»Fiber-Optic Link Around the Globe«) und diente als Scharnier zwischen zwei Kabeln, die – ähnlich wie das Tata Global Network – im Westen nach
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