Kalte Macht: Thriller (German Edition)
Interview geben? Bildungspaket. Alle anderen nicht verfügbar.«
Einen Augenblick lang hielt sie inne. Dann tippte sie: »Okay.« Fernsehinterviews hatte sie bisher nicht allzu viele gegeben, schon gar nicht für eine der Hauptnachrichtensendungen. Sie spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Nachdem sie wieder ruhiger war, rief sie Petra Reber an und gab ihr die Anweisung, sich mit dem Büro der Kanzlerin und mit dem Bundespresseamt wegen des Interviews kurzzuschließen, ihr eine Zusammenfassung der Inhalte des Gesetzesbeschlusses zu besorgen und das blaue Jackett aus der Reinigung holen zu lassen. Sie wollte so seriös wie möglich aussehen. Fernsehinterviews, vor allem in den Abendnachrichten, waren normalerweise reserviert für die wirklich Wichtigen. Zu denen gehörte sie nicht. Aber ihre Wahrnehmung würde in die entsprechende Richtung gehen, wenn sie den richtigen Auftritt hinbekam.
»Herr Bleicher, ich brauche Sie heute Abend noch.«
Eine kleine Weile hing sie einfach nur ihren Gedanken nach und betrachtete, wie die Stadt draußen vorbeiglitt. Hier ganz in der Nähe hatte sie die Frau getroffen, die seit dem Gespräch im Neuen Museum nichts mehr von sich hatte hören lassen. Im Rückspiegel beobachtete Natascha ihren Chauffeur, der wie immer hoch konzentriert war. Auffällig oft fuhr sein Blick zum Rückspiegel und zu den Außenspiegeln hin. »Irgendetwas Ungewöhnliches?«
»Kann es sein, dass sich jemand übermäßig für Sie interessiert?«, fragte er zurück.
*
Das Fernsehstudio war kleiner, als Natascha erwartet hatte. Bisher war sie kaum vor der Kamera gewesen und wenn, dann im Hof der Staatskanzlei oder auf dem Parteitag auf offener Bühne. Nun also eine Schalte nach Mainz. Live vor einem Millionenpublikum. Es würde ihrem Namen guttun! Ihren Nerven tat es nicht gut. »Noch drei Minuten, Frau Dr. Eusterbeck«, sagte der Studiomitarbeiter und zwinkerte ihr zu. Dann blieb sein Blick an ihrem Jackett haften. »Wollen Sie das vor der Kamera tragen?«
»Doch, schon«, entgegnete Natascha irritiert. »Ist etwas nicht in Ordnung damit?«
»Es ist blau. Das geht gar nicht.« Schon rief er quer durch das Studio: »Irgend einen Blauersatz? Damenoberteil?« Und zu Natascha: »Geht es auch ohne das Jackett?«
»Ich verstehe nicht, was mit dem Jackett nicht in Ordnung ist.«
»Es ist blau. Mit der Farbe sind Sie auf dem Bildschirm unsichtbar – bis auf Gesicht und Hände.« Jemand reichte ihm einen grauen Blazer. »Der hier?«
Natascha schüttelte den Kopf. Sie zog ihr Jackett aus und fuhr sich noch mal durchs Haar. »Dann muss es ohne gehen«, sagte sie und lächelte tapfer. Auch wenn das Top wenig offiziell aussah. Der Studiomitarbeiter nahm das winzige Mikrofon, das sie sich schon ans Revers geheftet hatte, ab und steckte es so an ihr Top, dass es von den über die Schulter fallenden Haaren fast verdeckt wurde. »Okay. Noch eine Minute. Ich lasse Sie jetzt allein. Wir zählen Sie dann auf den Sender.« Natascha nickte, als wüsste sie, was er meint. Dann klappte die Tür zu, und sie war allein. Allein in einem drei Quadratmeter großen Kabuff. Für einen Moment rang sie nach Luft. Ein Anflug von Panik loderte in ihr auf. Dann aber konzentrierte sie sich auf die Kamera und auf ihr Thema. Aus dem Augenwinkel sah sie den Bildschirm mit dem Moderator der bereits laufenden Nachrichtensendung. Er war in elegantes Schwarz gekleidet, das Haar wie immer perfekt, und trug den abgeklärten, leicht charmierenden Blick des Anchorman nach dem Vorbild der großen amerikanischen News-Legenden im Gesicht. Plötzlich hatte sie Angst. Angst, er würde sie mit professioneller Lässigkeit zerlegen. Angst, ihr Auftritt im ärmellosen, ausgeschnittenen Top könnte nuttig wirken. Nein, das würde er nicht. Sie hatte kaum Makeup, sie beherrschte den abgeklärten Blick der Politprofis, sie hatte alle Floskeln drauf wie ein alter Parteikärrner. Sie atmete tief durch, stellte fest, dass der Moderator die Kamera wechselte, in ihrem Blickfeld tauchte der Studiomitarbeiter auf, winkte ihr durch die Glasscheibe. »Wir sind so weit«, sagte er. »Zehn, neun, acht, sieben, sechs …« Dann verstummte er und hielt die ausgestreckten Finger seiner Hand hoch: fünf, vier, drei, zwei, eins. Die rote Lampe an der Kamera leuchtete auf, und Natascha hörte, wie der Moderator sagte: »In Berlin ist uns jetzt zugeschaltet die parlamentarische Staatssekretärin Natascha Eusterbeck, guten Abend, Frau Eusterbeck.«
»Guten Abend, Herr
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