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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Zugriff auf das Konto einer anderen Person zu erlangen, war, den Ort zu finden, wo sie ihr Passwort notiert hatte.
    Als Erstes ging Mark in Rogers Büro. Rogers geräumiges Eckbüro – mit Blick auf den Canary Wharf und den Fluss und den Familienfotos auf dem Schreibtisch –, das dieser Idiot überhaupt nicht verdient hatte und das bald ihm gehören würde. Er fuhr Rogers Computer hoch und öffnete die Datei mit dem Namen »Passwörter«. Wäre er gezwungen, die Dummheit seines Chefs in einem einzigen Detail zusammenfassen, dann wäre es die Tatsache, dass er seine Passwörter in einer Datei mit dem Namen »Passwörter« versteckte. Die Datei war zwar selbst passwortgeschützt, aber Mark hatte Roger dabei beobachtet, wie er die ersten drei Buchstaben eingab. Und weil Mark kein gewöhnlicher Mensch war, hatte er nicht lange dafür gebraucht, auch den Rest zu erraten. Die ersten Buchstaben waren c o n gewesen; es war also kinderleicht, sich auszurechnen, dass das Passwort conradjoshua lautete, die aneinandergefügten Namen seiner beiden grässlichen Kinder. Er öffnete die Datei mit Rogers Bank-Passwörtern. Sie bestanden aus den üblichen Ketten von Zahlen und Buchstaben. Mark notierte sie sich in seinem kleinen Moleskine-Heft.
    Dann ging er zurück zum Handelsraum. Dort fing er mit den Passwörtern an, deren Versteck er bereits kannte: ein Blatt Papier;eine verschlossene Schublade, deren Schlüssel wiederum in einer Dose mit Stiften verborgen war; das unterste Blatt eines Notizblocks (das abgerissen wurde, sobald es ein neues Passwort gab); oder sogar auf Notizblöcken, die direkt neben den Bildschirmen lagen. In nur fünf Minuten hatte er fünf Passwörter beisammen. Er träumte davon, sich auch in eine andere Abteilung einzuschleusen und ein paar der dortigen Passwörter zu knacken. Die Compliance wachte darüber, dass die Bank diesen ganzen idiotischen Rechtsvorschriften folgte, die im Finanzmarkt Sicherheit schaffen sollten, Sicherheit für all jene schwachen, ängstlichen, besorgten und an Konventionen geketteten Seelchen. Der Markt musste sich diesen ganzen lächerlichen Bedingungen unterwerfen, mit denen die Regierungen versuchten, den Riesen im Lilliputland zu fesseln. Es wäre für seinen Plan von größtem Nutzen, wenn er Zugriff auf das Rechnersystem der Compliance hätte. Root-Zugriff und Administratorenrechte für den Hauptrechner der Bank wären natürlich noch besser, aber es würde nicht leicht werden, und man sollte sich lieber nicht in etwas verbeißen, das sich mit ziemlicher Sicherheit als unmöglich herausstellen würde.
    Aber noch ein paar Passwörter in diesem Raum zu ergattern war durchaus im Bereich des Möglichen. Es war sogar sehr leicht. Bis jetzt hatte er lediglich die Früchte gepflückt, die an den untersten Ästen hingen. Jez, der erfolgreichste Händler im Raum, machte mehr Umsatz als jeder andere und handelte auch mit den meisten Konten. Es wäre also sehr praktisch, wenn man auf sein System Zugriff haben könnte. Mark konnte Jez absolut nicht ausstehen, nicht zuletzt deshalb, weil er spürte, dass er in ihm einen echten Konkurrenten hatte. Jez war jemand, dessen Lebensansichten seinen eigenen sehr ähnlich waren. Er war gerne der Gewinner. Nun, sie würden sehen, wer hier am Ende den Sieg davontragen würde. Mark ging an Jez’ Schreibtisch. Er schaltete den Bildschirm ein und wurde von einem Foto von Scarlett Johanssons Hintern in einem rosafarbenen Slip begrüßt, eine Standbildaufnahme der ersten Szene aus Lost in Translation . Mark mussteeinen kurzen Augenblick lächeln. Er durchsuchte den Computer nach einer »Passwort«-Datei, ohne jedoch fündig zu werden. Aber damit hatte er auch nicht gerechnet. Dann trat er einen Schritt zurück und sah sich auf Jez’ Schreibtisch um. Eine nützliche Faustregel war, dass sich die Dinge meistens an den nächstliegenden Orten befanden. Eine Tasse mit einem Arsenal-Logo, ein unbenutzter gelber Schreibblock, eine Ausgabe von Mountain Bike Monthly , ein Casio-Taschenrechner in einer Plastikhülle. Mark warf einen Blick in die Tasse, überflog die Zeitschrift, durchblätterte den Schreibblock, überprüfte die Unterseite der Tastatur und öffnete zwei Schreibtischschubladen, die jedoch beide leer waren, abgesehen von verschiedenstem Büromaterial und einer Treuekarte von Caffè Nero. Jez mochte zwar ein resoluter und lautstarker Mensch sein, aber an seinem Arbeitsplatz ließ er absolut nichts Persönliches herumliegen. Interessant. Während

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