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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Bett gelegen hatte; ein Bild, in dem sich die Unumkehrbarkeit des Lebens und seine Vergänglichkeit widerspiegelte, zusammen mit der bitteren Wahrheit, dass sich nicht alles, was wir tun, ungeschehen machen lässt.
    Er und Piotr sprachen zwar wieder miteinander, aber es war ihnen nicht gelungen, ihre ursprüngliche Beziehung wiederherzustellen. Sein alter Freund schien derselbe Mensch zu sein, sah genauso aus wie früher und klang auch so; aber die Balance zwischen ihnen hatte sich verschoben, und es war nicht mehr dasselbe wie früher, wenn er sich mit ihm unterhielt. Wenn er es sich selbst einmal erlaubte, darüber nachzudenken – was er nur kurz und widerstrebend tat, und auch nur aus dem Gedankenwinkel, sozusagen, so als schaute er aus den Augenwinkeln –, dann merkte er, dass er immer noch wütend auf Piotr war, wegen jenes Abends damals im polnischen Club. Es lag nicht daran, dass Piotr etwa unrecht gehabt hätte, was ihn und Davina anbetraf; es war vielmehr die Tatsache, dass sein Freund den Ärger, dem er damals Luft gemacht hatte, ganz offensichtlich bereits eine ganze Weile gehegt hatte. Obwohl sie sich versöhnt hatten, konnte Zbigniew den Gedanken nicht loswerden, dass jener wütende Piotr, diese Person, die den Stab über ihn gebrochen hatte, der echte Piotr war. Und das war ein Mensch, mit dem er nicht befreundet sein wollte. Wer weiß, vielleicht später einmal, wenn sie daheim in Polen waren und all dies der Vergangenheit angehörte, wenn das Londoner Zwischenspiel vorüber war und sie wieder in ihr wahres, ihr polnisches Leben zurückgekehrt waren, dann konnten sie vielleicht wieder echte Freunde sein. Vielleicht. Aber bis dahin konnte er mit Piotr nicht über Davina sprechen, konnte ihm nicht erzählen, wie er sich bei jeder Mülltonne, an der er vorbeiging, einbildete, sie würde sich dahinter verstecken und sich im nächsten Moment auf ihn stürzen.
    Und dann stürzte sich tatsächlich etwas auf ihn, eine große Überraschung, aber es war nicht die Art Überraschung, gegen die Zbigniew sich gewappnet hatte. Ganz oben im Haus gab es ein Zimmer, das ganz offensichtlich schon seit vielen Jahren nicht mehr benutzt worden war und das irgendwann einmal ein Arbeitszimmer oder Büro gewesen sein musste. Darin stand ein riesiger alter Schreibtisch, der zwar regelmäßig abgestaubt, sonstaber vernachlässigt worden war und sowohl älter als auch von besserer Qualität war, als das auf den ersten Blick den Anschein hatte. Er war sogar wahrscheinlich ziemlich viel wert. In einem Regal standen alte zerfledderte Krimis mit verblichenen Buchrücken. Dann gab es noch einen Aktenschrank, in dem sich außer alten Strom-, Wasser- und Heizkostenabrechnungen nicht viel befand. Die Tapete in diesem Raum war in einem schlimmeren Zustand als irgendwo sonst im Haus; auch ein Indiz dafür, dass man das Zimmer kaum noch benutzt hatte. Zbigniew beschloss, den Aktenschrank aus dem Zimmer zu schieben, die Tapeten abzuziehen und die Leitungen zu überprüfen.
    Während er mit den Fingern über die Stellen fuhr, an denen sich die Tapete bereits abgelöst hatte, stellte er fest, dass irgendetwas damit, wie die Wand sich anfühlte, nicht stimmte. Um das nachzuprüfen, klopfte er an ihr entlang und stellte fest, dass ihn sein erster Eindruck nicht getäuscht hatte: An einer Stelle gab es ein hohles Geräusch. Zbigniew klopfte weiter. Es hatte ganz den Anschein, als gäbe es hier einen Hohlraum, ungefähr so groß wie ein Kleiderschrank. Er riss die Tapete herunter und sah nun, dass es an dieser Stelle einen dünnen Verputz gab, der anders aussah als an der übrigen Wand, und der ein Loch im Mauerwerk verdeckte. Zbigniew hielt inne und dachte einen Moment lang nach. Er konnte alles so lassen wie es war, die Wand mit Tapete abdecken, und keiner würde je etwas davon erfahren, oder … Aber bereits während er sich diese Frage stellte, wusste er, was er tun würde. Zbigniew ging nach unten, um seine Schutzbrille und seinen Vorschlaghammer zu holen. Dann setzte er die Füßen fest auf den Boden und holte mit dem Hammer aus.
    Der Verputz war nicht besonders fachmännisch gemacht worden: Er war sehr trocken und zersprang sofort in tausend Stücke. Ein verbeulter Koffer, der in dem Loch im Mauerwerk gesteckt hatte, fiel auf die Erde. Zbigniew blies die Wangen auf, legte den Hammer weg und setzte sich neben den Koffer auf den Boden. Er hatte ein kleines eingebautes Schloss, aber es war kein Schlüsselzu sehen. Zbigniew war jedoch nicht

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