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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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nahm einen Umschlag heraus. Roger, der sich in seinen seidenen Unterhosen eben noch so gelassen und ausgeglichen gefühlt hatte, spürte, wie Pulsschlag und Blutdruck nach oben schossen. Das Zeichen für ein britisches Pfund, gefolgt von einer Eins mit sechs Nullen, Eins mit sechs Nullen, Eins mit sechs Nullen. Zwei mit sechs Nullen? Nein, das war zu gierig. Eins mit sechs Nullen.
    »Es war ein gutes Jahr für die Abteilung«, sagte Max.
    Jaaaaaaa!
    »Die Zahlen sprechen für sich.«
    Jaaaaaaa!
    »Wie Sie ja wissen, ist es nicht immer ganz einfach, die entsprechenden Zahlen unserer Konkurrenten zu, äh, analysieren, deshalb kann man keinen exakten Vergleich aufstellen, aber wir sind davon überzeugt, dass die Leistung Ihrer Abteilung im oberen Viertel des Sektors anzusiedeln ist.«
    Roger wusste das oder hatte es jedenfalls stark angenommen, aber es war trotzdem gut, es zu hören.
    »Die persönlichen Beurteilungen, die Sie über Ihre Kollegen geschrieben haben, sind sehr positiv. Der Vergütungsausschuss ist der Ansicht, dass auch Ihre Leistung in jeder Hinsicht überzeugt.«
    Jaaaaaaaaa! Das war kein Eine-Million-Gespräch. Das roch nach zwei Millionen, vielleicht sogar mehr. Steuerte er womöglich auf die Summe von zweieinhalb Millionen zu? Ein Viertel von zehn Millionen. Vielleicht würden er und Arabella sogar Sex haben!
    »Das alles muss natürlich im Kontext betrachtet werden«, fuhr Max fort. Ein bescheidenerer Mann als Roger, einer mit weniger starken Nerven hätte das vielleicht als ein Warnzeichen aufgefasst, einen Grund zur Panik, vielleicht sogar als Einladung, über versäumte Hypothekenzahlungen nachzudenken, oder über versprochene,aber nie gekaufte Diamantkolliers, oder über das Verschieben von Reiseplänen; denn für einen geringeren Mann als Roger hätten die Worte von Max verdächtig nach einem »Aber« geklungen. Roger war jedoch ein Veteran, wenn es um die Einschätzung von Pinker Lloyd ging. Das hier war fast schon seine zwanzigste Bonus-Besprechung. Er kannte diese Methode. Man konnte das mit einem Richter vergleichen, der seine Urteilsbegründung so formulierte, dass sich erst mal beide Seiten im Gericht vor Angst in die Hose machten, bevor er das Urteil verkündete. Genauso hielten es auch die Mitglieder des Vergütungsausschusses. Sie wollten, dass man erst ganz bescheiden über Brot und Wasser nachdachte, bevor sie einem die Schlüssel für eine Villa in Poggibonsi aushändigten, mit einer Zypressenallee, einem kleinen Weinberg und einem geheizten Swimmingpool.
    Eigentlich gar kein schlechter Gedanke. Minchinhampton war ja schön und gut, aber vielleicht auch ein bisschen schäbig, wie schon gesagt, und es musste nur ein verregneter Sommer kommen, um einem die ganze Ferien-in-England-Sache von Grund auf zu verleiden. Wenn er erst einmal alles bezahlt hatte, was er bezahlen musste, und ein wenig davon in seine Pension und seine Aktienfonds und solche Sachen gesteckt hatte, dann würde von einem Bonus von zweieinhalb Millionen noch ziemlich viel übrig bleiben. Es hieß, dass man für eine Million schon eine ziemlich ordentliche Villa auf Ibiza kriegen konnte. Man konnte ja mal darüber nachdenken.
    Roger war nur einen kurzen Moment lang unaufmerksam gewesen, aber als er sich wieder auf das Gespräch konzentrierte, sagte Max gerade:
    »… und natürlich meint Kontext nicht bloß die allgemeinen Probleme in unserem Sektor. Da war ja schließlich auch noch die Preisadjustierung der Versicherungen und Swaps. Ein Unglück kommt selten allein, muss man da wohl sagen. Und das ist nur die Großwetterlage. Darüber hinaus gab es noch die Schwierigkeiten mit unserem Tochterunternehmen in der Schweiz.«
    Und ganz plötzlich, aus heiterem Himmel, merkte Roger, wie sein Bonus in sich zusammenfiel. Das waren nicht nur vage Andeutungen, das war ein richtiges, echtes, Wir-reden-jetzt-mal-Tacheles-»Aber«. Dieser aalglatte kleine Wichser Max, der sich hinter seiner funkelnden Nazi-Metallbrille verschanzte, servierte ihm da gerade eine Hiobsbotschaft.
    »… das geht über die routinemäßige Volatilität hinaus, das sind schon ganz konkrete Verluste. Nachdem wir erst einmal begriffen hatten, wie hoch die Exposure unseres Tochterunternehmens am US-amerikanischen Markt mit ungesicherten Kreditverbriefungen tatsächlich war, und wenn man dann noch bedenkt, dass die entstandenen Verluste noch immer nicht präzise bewertet werden konnten, obwohl bereits klar ist, dass sie in den zehnstelligen Euro-Bereich

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