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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Nicolas. Am dritten Tag hielt er es nicht mehr aus.
    »Herr Graf«, sagte er, als wir beeinander in der Kutsche saßen, »erlaubt Ihr eine Frage?«
    »Sprich, Nicolas.«
    »Wann sind wir in Nantes?«
    »Ich hoffe, in drei Tagen.«
    »Also sechs Tage die Hinreise«, sagte er voll Kummer, »die Rückreise noch einmal soviel, macht zwölf Tage.«
    »Richtig.«
    »Darf ich noch eine Frage stellen, Herr Graf?«
    »Bitte, Nicolas.«
    »Wie lange werden wir in Nantes bleiben?«
    »Leider weiß ich es noch nicht: Das hängt von dem Herrn ab, mit dem ich zu verhandeln habe.«
    Hierauf sah Nicolas, sosehr er sich um Haltung bemühte, derart niedergeschlagen aus, daß ich ihm schließlich, wie Richelieu
     mir, eine Frage stellte, deren Antwort ich durchaus kannte.
    »Es hat den Anschein, Nicolas, daß dir die Länge dieser Mission gegen den Strich geht?«
    »Herr Graf«, antwortete er tugendhaft, »mir hat nichts gegen den Strich zu gehen. Ich habe Euch zu dienen. Aber dafür scheint
     Ihr Euch sehr auf Nantes zu freuen?«
    »Natürlich freue ich mich, Nicolas, ich kann meine Brüder wiedersehen«, sagte ich scheinheilig.
    »Wollt Ihr nicht noch jemanden wiedersehen?«
    »Nein. Ich hoffe aber, die Bekanntschaft von Madame de Brézolles zu machen.«
    »Aber, Herr Graf«, sagte Nicolas, der seinen Ohren nicht zu trauen glaubte, »Ihr kennt sie doch!«
    »Wo, zum Teufel, hast du das her, Nicolas? Sie war zwei Tage vor unserer Ankunft abgereist, den Aufenthalt in ihrem Hause
     verdanken wir einzig der Güte von Madame de Bazimont.«
    Nicolas wandte mir das Gesicht zu und starrte mich fassungslos |273| an. Allerdings war auch ich aus allen Wolken gefallen, als Madame de Bazimont mir nach Erhalt eines Briefes ihrer Herrin diese
     neue Version der Geschichte mitteilte. Doch hatte mein Staunen kurz gedauert. Da ich die Schläue, um nicht zu sagen den Machiavellismus,
     von Madame de Brézolles kannte, dachte ich mir, sie müsse für diese erneute Änderung der Tatsachen gute Gründe haben. Auch
     bewunderte ich, welche Macht sie sich über ihr Gesinde zutraute, das ihre Worte doch bestätigen können oder wenigstens schweigend
     billigen mußte.
    »Wir sollen Madame de Brézolles nie gesehen haben?« fragte Nicolas und sperrte groß die Augen auf.
    »Nicht gesehen, nicht kennengelernt. Dachtest du das Gegenteil, Nicolas?« fragte ich vorwurfsvoll.
    »Tatsächlich, Herr Graf, aber wie ich Euch jetzt höre, muß ich mich wohl getäuscht haben.«
    »Bestimmt hast du dich getäuscht, und weißt du, warum? Du hast die zwei Wahrheiten verwechselt.«
    »Weil es zwei Wahrheiten gibt, Herr Graf?«
    »Immer, Nicolas. Immer gibt es zwei Wahrheiten.«
    »Und die wären, wenn ich fragen darf?«
    »Einerseits, Nicolas, gibt es die Wahrheit der Tatsachen. Und andererseits die nützliche Wahrheit. In unserem gegenwärtigen
     Fall gilt letztere.«
    »Ich habe also Madame de Brézolles nie kennengelernt, nie gesehen?«
    »Ganz wie ich, Nicolas! Und um ihr meinen Dank dafür auszusprechen, daß sie die Gastfreundschaft, die Madame de Bazimont mir
     in ihrer Abwesenheit gewährte, durch ein Sendschreiben bestätigt hat, werde ich versuchen, sie kennenzulernen, sobald ich
     in Nantes eintreffe.«
    »Ich verstehe, Herr Graf, daß Ihr der Dame wirklich sehr verbunden seid«, sagte Nicolas, dem es nicht an Witz gebrach, sobald
     er seine kindliche Einfalt hinter sich ließ.
    Hierauf trat in der Kutsche ein Schweigen ein, daß man einen Engel zu hören meinte – den Engel der beleidigten Wahrheit vielleicht.
     Wie dem auch sei, sein Flügelschlag weckte in mir Gewissensbisse.
    »Nicolas«, sagte ich liebevoll, »da du in einer Person mein Junker, mein Schüler und ein wenig sogar mein Sohn bist (bei |274| diesen Worten errötete er vor Freude), sollst du wissen, daß die tatsächliche Wahrheit einem Ehrenmann unendlich viel lieber
     ist als die nützliche Wahrheit und daß er bei ihr zu bleiben trachtet, wo er nur irgend kann. Indessen gibt es Fälle, bei
     denen so viele große Interessen, ob öffentliche, ob private, im Spiel sind, daß die nützliche Wahrheit leider zu einer unbedingten
     Notwendigkeit wird.«
    »Ich verstehe schon, Herr Graf«, sagte Nicolas, »und vielen Dank für die Lehre.«
    Die Brüder Siorac waren, Gottlob, gerade nicht auf See, um englischen Frachtschiffen nachzujagen, sondern weilten daheim in
     ihrem schönen, reichen Stadthaus neben der Kathedrale Saint-Pierre.
    Und während Hauptmann Hörner und Monsieur de Clérac – der eine

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